Vertauschte Rollen?

Gesellschaft

Vertauschte Rollen?

von Sameer Ibrahim

 

Im Rahmen meiner Arbeit als Bundesfreiwilliger bei tünews gehört es zu meinen Pflichten, an Bildungsseminaren des Bundesamtes für Familien und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) teilzunehmen. Erst letztens fuhr ich dazu nach Bodelshausen, wo sich ein Seminarzentrum des BAFzA befindet. Das liegt etwa 25 Kilometer von Tübingen entfernt. Dieses Seminar dauerte fünf Tage. Am dritten Tag stand ein Rollenspiel auf dem Programm. Die Seminarleiterin warf dazu eine interessante Idee zum Thema “Geflüchtete” in den Raum – in einer Mischung aus Witz und Ernst. Gesagt, getan. Wir teilten uns im Seminarraum in drei “Gesellschafts-Gruppen” auf: Eine Gruppe, die die Geflüchteten willkommen hieß, eine Gruppe, die gegen die Aufnahme der Geflüchteten war und eine dritte, die die Regierung spielte. Die Teilnehmer waren zunächst amüsiert – die meisten von ihnen waren Deutsche –, als sie in die Rollen dieses besonderen Szenarios schlüpften.

Um das Ganze besser verstehen zu können, hier nun eine kurze Beschreibung der Hintergrundgeschichte: Die drei Gruppen leben auf einer Insel. Im entfernt liegenden Deutschland hat sich eine Nuklearkatastrophe ereignet. Die Explosion fordert viele Opfer und verursacht schlimme Verstümmelungen bei den Rettern, bzw. allen, die sich nicht unter den Todesopfern befinden. Die Deutschen flüchten und kommen auf die Insel, um Asyl zu bekommen. Sie werden in Erstaufnahmezentren und Sporthallen untergebracht, bis man ihre Asylgesuche begutachtet hat. Wem das Asylrecht auf unserer Insel zugestanden wird, der muss einen Sprachkurs belegen. Die Regierung entscheidet auch, wo er wohnen darf. Unter den deutschen Geflüchteten gibt es eine kleine Anzahl von Unruhestiftern, die die Bevölkerung der Insel verärgern. Vor allem durch ihren maßlosen Alkoholkonsum in Restaurants, Cafés und auf öffentlichen Plätzen. Außerdem durch das Wegwerfen von Unrat, das Pinkeln an Bäume und das Erbrechen auf Gehwege. All das führt zu Abscheu und Ärger bei den Bewohnern der Insel. Was die Situation nicht besser macht, ist die Vergewaltigung eines einheimischen Mädchens durch Geflüchtete. Als Folge davon protestiert die Bevölkerung gegen die geflüchteten Deutschen und fordert ihre Rückkehr in ihr Heimatland. Nachts gibt es Übergriffe auf Flüchtlingsheime mit Molotov-Cocktails. Es ertönen die Rufe: “Hier bei uns gibt es keinen Platz für die Nazis!” Ein Aufnahmezentrum wird schließlich in Brand gesteckt und einige Geflüchtete erleiden Brandverletzungen und Rauchvergiftungen. Wenige Tage nach diesen Ereignissen gibt es erneut einen sexuellen Übergriff auf ein Inselmädchen. Sie berichtet, von einer Gruppe junger Männer belästigt worden zu sein, deren Haare blond und ihre Augen blau gewesen seien. So verschlimmert sich die Situation Tag für Tag. Die Insel wird zum Alptraum für die geflüchteten Deutschen.

Für uns Seminarteilnehmer war am spannendsten und eindrucksvollsten, dass wir andere Rollen angenommen haben als sonst. So musste ich als Geflüchteter in die Rolle eines regierenden Beamten schlüpfen und sollte in gerechter Weise über die deutschen Flüchtlinge und über die Anliegen der Einheimischen befinden. Und es war sehr schwierig wirklich gerecht zu sein.

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