Homeschooling in Familien von Geflüchteten – auf Stimmenfang

Von: Batool Hadous, Danyah Mahfouz, Hanin Kanjou, Hayet (Name geändert), Majd Kanjou, Meryem (Name geändert), Michael Seifert, Mohammed, Oula Mahfouz, Roula Al Sagheer, Sara Al Sagheer, Yousof Mahfouz

Bald sollen alle Schülerinnen und Schüler wieder zeitweise zur Schule gehen können, aber noch immer ist für die meisten Online-Lernen im Homeschooling angesagt. Wie erleben Kinder aus geflüchteten Familien diese Situation, der sie seit 17. März ausgesetzt sind? Diese Frage stellte sich der Redaktion von tünews INTERNATIONAL, als Sara, Schülerin der 5. Klasse des Gymnasiums, einen Text darüber abgab. Ihre Stellungnahme ist eindeutig: „Wir Kinder lernen jetzt online. Es ist für mich das Schlimmste, nicht in die Schule zu gehen. Und um ehrlich zu sein ich hasse die Online-Schule wie viele andere. Man kriegt viel mehr auf als sonst, es macht kein bisschen Spaß. Wenn man etwas nicht versteht, kann man niemanden fragen außer seine Eltern und Geschwister. Aber oft ist es so, dass sie es anders gelernt haben.“

Die Redaktion sammelte weitere Stimmen von Kindern aus ihrem Umfeld. Das Fehlen des direkten Kontaktes mit den gleichaltrigen Freunden drückt Mohammed (3. Klasse) ganz drastisch aus: „Ich HASSE einfach Online! Als ich das allererste Mal online gemacht habe, da war ich so fröhlich und dachte, dass ich hier meine Freunde sehe. Aber da waren meine Freunde nicht und ich war so SAUER! Ich bin komplett ausgerastet.“ Yousof (8. Klasse) fühlt sich mit den Aufgaben allein gelassen: „Mit meinem Homeschooling läuft es nicht so optimal, weil ich leider nicht alles verstehen kann, z.B. wie ich eine Aufgabe lösen muss. Da die Aufgaben ein bisschen viel sind, komme ich kaum hinterher. Außerdem sind die Aufgaben schlecht erklärt.“ Hanin (6. Klasse) findet es schlicht langweilig: „Homeschooling ist nicht so gut, wie wenn man zur Schule geht. Weil es langweilig ist. Und ich kann meine Hausaufgaben nicht so konzentriert wie in der Schule machen.“

Batool, die sich in der Berufsfachschule Wirtschaft auf die Mittlere Reife vorbereitet, hat an ihrer Schule eine Umfrage zu den Erfahrungen im Homeschooling gestartet und nur negative Rückmeldungen bekommen – die zum Teil nicht einmal druckreif sind. Und ihr persönliches Fazit sieht nicht besser aus: „Meine Stimme würde leider auch negativ ausfallen. Persönlich habe ich insgesamt nur drei Wochen mitgemacht. Wir sind sechs Personen zu Hause. Dass wir alle morgens online in der Videokonferenz sein müssen, konnte unser WLAN nicht aushalten. Wodurch wir an vielen Tagen ausfallen mussten.“

Batool schaut aber über ihre persönliche Situation hinaus und sieht auch Chancen in der gegenwärtigen Situation: „Der Wechsel auf Fernlehre erfordert natürlich einige Umstellungen, sowohl seitens des Kollegiums als auch in den Klassen. Schließlich sind plötzlich feste Strukturen entfallen. Die Ausgangslage, ob und welche technische oder fachliche Unterstützung bei alldem zu Hause gewährleistet werden kann, ist sehr unterschiedlich. Das zu berücksichtigen sehe ich als größte Herausforderung. Eine Chance sehe ich darin, dass sich Lehrende und Lernende in neuen Rollen begegnen und erleben. Die sehr schwierige Zeit wird natürlich vergehen. Aber wir werden stärker sein, wenn es vorbei ist.“

Positive Entwicklungsmöglichkeiten sieht auch Majd (8. Klasse) trotz aller Anfangsschwierigkeiten: „Online zu lernen ist für die meisten eine neue Sache gewesen und man musste sich erst daran gewöhnen. Es ist auf der einen Seite schwer, da man keine Betreuung von den Lehrern beim Lernen hat und keinen, der das Thema einem ausführlich erklärt. Dennoch ist es auf die andere Seite eine Erfahrung zu lernen, sich selbst zu organisieren und sich selbst etwas beizubringen, denn in der Zukunft sollten wir auch selbstständig arbeiten können.

Das Homeschooling wurde teilweise sehr schlecht von den Lehrkräften und der Schule vorbereitet, aber mit der Zeit ist es viel besser geworden, da die Schüler und die Lehrer sich über Verbesserungsvorschläge ausgetauscht haben.“

Manchen scheint das Online-Lernen zu Hause persönlich zu liegen wie Hayet (Name geändert, 2. Klasse): „Homeschooling ist viel besser, weil es sehr ruhig ist und niemand von den anderen ‚abspickelt‘. Ich finde es toll, dass meine Mama mich auch unterrichtet.“ Oder auch Roula (10. Klasse): „Ich finde Online-Unterricht viel besser als Präsenzunterricht: Im Unterricht kann ich mich nicht immer konzentrieren, weshalb ich alles zu Hause nachholen muss. Jetzt muss ich sowieso alles zu Hause nur einmal machen. Und ich habe mehr Freizeit. Früher hatte ich immer Stress wegen Klassenarbeiten und Hausaufgaben, aber jetzt muss ich mir keine Sorgen mehr machen und kann ich die Sachen tun, die ich mag.“

Schließlich soll auch der Blick der Eltern auf das Homeschooling Eingang in unseren Stimmenfang finden, zunächst Danyah: „Für mich als Mutter von vier Kindern war es schwierig, mit ihnen zu Hause zu lernen, da dafür die notwendigen Technologien nicht vorhanden waren. Wir haben nur einen Computer und ich konnte nicht die passende Tinte für meinen alten Drucker finden. Ich musste in ein Geschäft gehen und lange warten, bis ich all diese Papiere ausdrucken konnte. Außerdem war es für mich schwierig, den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, obwohl ich früher Lehrerin war, aber die Sprache stand mir im Weg.“ Und Meryem (Name geändert): „Für mich als Mutter, ist es auf der einen Seite schwierig, für alles Zeit zu finden: zuerst muss ich den Stoff erklären, danach alle Aufgaben kontrollieren und nebenbei zu Hause arbeiten mit “Homeoffice”, Kochen, Putzen und auf meinen Sohn Aufpassen. Andererseits konzentriert sich meine Tochter zu Hause besser. Sie ist alleine und beschäftigt sich nicht mit den anderen Kameraden.“

Aus all diesen Stimmen wird deutlich, dass der Erfolg des Homeschooling ganz entscheidend auf der Seite der Schulen von der Qualität der Angebote und andererseits von den Voraussetzungen und Motivationen zu Hause abhängt. Aber es ist zu erwarten, dass der Schulalltag der Zukunft sich durch diese Erfahrungen verändern wird. Und vielleicht bekommt Batool Recht, wenn sie schreibt: „Aber wir werden stärker sein, wenn es vorbei ist.“

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Impressionen zum Leben in Zeiten der Corona-Pandemie: Foto: tünews INTERNATIONAL; Oula Mahfouz, 11.06.2020

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