Auch durch deutsche EU-Ratspräsidentschaft keine gemeinsame EU-Asylpolitik

Von Salwa Saada und Michael Seifert

Im Juli 2020 übernahm Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft und damit den Vorsitz in den Verhandlungen der EU auf Ministerebene. Schon gleich zu Beginn wurden vom Bundesinnenminister die wichtigsten Ziele in der Flüchtlingspolitik formuliert: Reform des europäischen Asylsystems durch eine gemeinsame Asylpolitik, Schaffung von EU-Zentren zur Aufnahme der Geflüchteten in den Ankunftsländern mit Außengrenzen und dort eine schnelle Prüfung des Antrags, verbindliche Verteilungsquote auf alle EU-Länder.

Die Corona-Krise und deswegen geschlossene Grenzen verhinderten alle Verhandlungen zur Umsetzung dieser Ziele. Als im September 2020 das Auffanglager Moria auf der griechischen Insel Lesbos abbrannte, entstand akuter Handlungsbedarf. Von der EU-Kommission wurde ein „Migrationspakt“ eingebracht. Statt der Aufnahme von Flüchtlingen nach festgelegten Quoten sollten finanzielle Anreize zur Aufnahme geschaffen werden, etwa 10.000 Euro pro aufgenommenem Geflüchteten. Nicht aufnahmebereite Staaten sollten sogenannte „Abschiebepatenschaften“ übernehmen, sich also um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber kümmern. Damit wollte die EU-Kommission den jahrelangen Streit unter den Mitgliedsstaaten beenden.

Auch über diesen Kompromiss gab es keine Einigung. Die gleichen Staaten, die schon vorher eine Verteilung von Flüchtlingen ablehnten wie Ungarn, Polen, Slowakei, Tschechien stellten sich dagegen, hinzu kam Österreich.

Auch weitere Treffen der EU-Innenminister führten zu keinen Ergebnissen. Die Kernidee und viele Details aus dem Pakt sind weiterhin umstritten. Eine gemeinsame Terrorismusbekämpfung hatte bei den Treffen höhere Priorität. Die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson stellte resigniert fest: „Das wird auch noch die nächste, die portugiesische Ratspräsidentschaft beschäftigen.“ Portugal übernimmt am 1. Januar für ein halbes Jahr den Vorsitz. Das Recht auf Asyl solle in der EU auf jeden Fall geschützt werden, eine abgeschottete Festung Europa wolle man nicht, versicherten Seehofer und Johansson. Entsprechende Kritik von Flüchtlingsorganisationen sei falsch.

Völlig ungelöst blieb aber das Problem der vielen Tausenden von Geflüchteten auf den griechischen Inseln. Einige Staaten wie Deutschland und Frankreich erklärten sich bereit, zumindest geflüchtete und kranke Jugendliche aufzunehmen. Wir wollten wissen, was daraus in Deutschland geworden ist und fragten bei der Tübinger Bundesabgeordneten Heike Hänsel nach, die eine entsprechende schriftliche Anfrage im Bundestag gestellt hatte.

In der Antwort der Bundesregierung steht, dass Deutschland gleich im September die Aufnahme von 150 unbegleiteten Minderjährigen aus Moria und anderen Camps und von 1.553 weiteren anerkannten Geflüchteten in Familien zugesagt habe. Davon sind bis zum 3. Dezember 826 Personen nach Deutschland eingereist. Schon im März hatte die Bundesregierung die Aufnahme von rund 1.000 Personen zugesagt. Von den insgesamt zugesagten 2.750 Personen sind seit April 2020 bisher nur 1.291 in Deutschland aufgenommen worden.

Dieser mageren Bilanz steht gegenüber, dass unter dem Stichwort „Sichere Häfen“ 214 deutsche Städte und Gemeinden sich bereit erklärt haben, Geflüchtete aus EU-Staaten mit Außengrenzen aufzunehmen, darunter Rottenburg und Tübingen. Das nicht erreichte Ziel einer gemeinsamen EU-Asylpolitik hat letztlich dazu geführt, dass dieses Engagement und die Potenziale der deutschen Gemeinden nicht zum Zuge kommen. Die fehlende Solidarität innerhalb der EU verhindert damit die Umsetzung des Artikel 3 der UN-Menschenrechtcharta, der lautet: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Das Menschenrecht auf Asyl wird durch die Uneinigkeit in der EU de facto außer Kraft gesetzt.

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In Strasburg ist der Sitz des Europaparlaments. Foto: Wolfgang Sannwald, 2018

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