Eine antike Münze als Quelle für die Geschichte von Gaza-Stadt

Von Stefan Krmnicek

In unserer Serie über antike Münzen wird heute eine antike Prägung aus Gaza-Stadt in der Münzsammlung des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Tübingen näher vorgestellt. Gaza-Stadt war in der Antike eine der wichtigsten Hafenstädte der Region und lag verkehrsgünstig als Endpunkt der Handelsrouten für den Weihrauchhandel aus dem Inneren der Arabischen Halbinsel. Die Bedeutung der Stadt wird auch durch das berühmte Mosaik in der St.-Georgs-Kirche in Madaba (Jordanien), der ältesten erhaltenen kartografischen Darstellung des antiken Palästinas, unterstrichen. Das in das 6. Jahrhundert n. Chr. datierte Mosaik zeigt Gaza als zweitgrößte Stadt der Region nach Jerusalem mit öffentlichen Plätzen, Theater, Säulenhallen und einer Kirche.

Heute zählt Gaza-Stadt zu den am dichtesten bewohnten urbanen Gebieten der Welt. Es leben weit über 590.000 Menschen auf gerade einmal 45 Quadratkilometern (in Tübingen leben 98.000 Einwohnern auf 108 Quadratkilometern). So wundert es nicht, dass in dem dicht besiedelten Stadtgebiet archäologische Untersuchungen kaum möglich sind und wir dementsprechend nur wenig über das Aussehen der Stadt vor 2000 Jahren wissen. Eine besondere Quelle für die Stadtgeschichte können aber die Bilder auf den in römischer Zeit lokal geprägten Münzen sein. Das ist auch bei der vorliegenden Münze der Fall.

Rückseite einer Bronzemünze aus Gaza-Stadt aus dem Jahr 131/132 n. Chr., Tüb. Inv. Slg. Müller 1007. Foto: Stefan Krmnicek, Universität Tübingen.

Die Vorderseite zeigt das Porträt des römischen Kaisers Hadrian mit Brustpanzer, Mantel und Lorbeerkranz im Haar nach rechts. Rund um das Bild des bärtigen Kaisers verläuft eine Umschrift. Zwar sind nur wenige Buchstaben zu erkennen, wir können die altgriechische Legende aber vollständig rekonstruieren. Sie nennt Kaiser Hadrian, der 117–138 n. Chr. das römische Reich regierte. Auf der Rückseite der Münze sehen wir einen Tempel mit zwei Säulen und einem spitzen Giebel. Darin stehen zwei Figuren einander zugewandt. Bei der linken Figur mit Bogen, Pfeil und Köcher und kurzem Gewand handelt es sich um Artemis, die griechische Göttin der Jagd. Ihr gegenüber steht ein nackter Mann, der ebenfalls etwas in den Händen hält, vielleicht einen Bogen. Unter der Darstellung des Tempels ist in altgriechischen und einem phönizischen Buchstaben das Datum der Prägung angebracht. Um das Bild verläuft die Legende ΓΑΖΑ (Gaza) ΜΑΡΝΑϹ (Marnas) in altgriechischen Buchstaben. Mit der Nennung der Stadt Gaza ist somit klar, dass wir hier eine Münze aus Gaza unter der Regierungszeit des römischen Kaisers Hadrian aus dem Jahr 131/132 n. Chr. vor uns haben, die auf der Rückseite einen antiken Tempel zeigt, in dem die Göttin der Jagd und eine andere Figur dargestellt sind.

Vorderseite einer Bronzemünze aus Gaza-Stadt aus dem Jahr 131/132 n. Chr., Tüb. Inv. Slg. Müller 1007. Foto: Stefan Krmnicek, Universität Tübingen.

So weit so gut. Doch wer ist die andere Figur im Tempel und wieso ist das für die Geschichte von Gaza-Stadt so wichtig? Bei der Figur handelt es sich um das Kultbild des Gottes Zeus Marnas; sein Name wird auch auf der Rückseite der Münze genannt. Zeus Marnas war nicht nur ein lokal verehrter Gott für Fruchtbarkeit und Orakel – ihm galt der wichtigste religiöse Kult im antiken Gaza. Sein Heiligtum, das Marneion, war der größte und prächtigste Tempel der Stadt. Der Bau des Tempels geht vermutlich auf einen Besuch des Kaisers Hadrian in Gaza im Jahr 129/130 n. Chr. zurück. Aus diesem Grund zeigte Gaza, unmittelbar nach dem Aufenthalt des Kaisers in der Stadt und nachdem mit dem Bau des Heiligtums begonnen wurde, stolz das Bild des Tempels auf seinen Münzen.

Leider sind von dem einst größten und bedeutendsten heidnischen Kultgebäude des römischen Gaza keine archäologischen Reste bekannt. Mit der Lebensbeschreibung des Porphyrios, des um 400 n. Chr. wirkenden Bischofs von Gaza, besitzen wir eine schriftliche Quelle, die nur über das Ende des Tempels berichtet. Unter der Leitung des Porphyrios soll über den Resten des Marneions eine Kirche errichtet worden sein. Vermutlich entstand an der Stelle dieser Kirche mit der islamischen Landnahme eine Moschee – der Vorläuferbau der heutigen Großen Moschee von Gaza. Die einzige verlässliche und somit wichtigste Quelle zum Tempel des Zeus Marnas und seiner Bedeutung für das antike Gaza-Stadt sind damit die Münzbilder.

Wer mehr Interesse an solchen spannenden Geschichten hat, kann antike Münzen aus Syrien, dem Irak, Iran und Afghanistan im Museum Alte Kulturen der Universität Tübingen auf Schloss Hohentübingen besichtigen. Die vorliegende Münze ist auch in Zeiten von Corona und geschlossenen Museen bzw. für alle Interessierte außerhalb Tübingens kostenfrei unter https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/object?id=ID3260 im Digitalen Münzkabinett des Instituts für Klassische Archäologie virtuell zu bewundern.

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Vorderseite einer Bronzemünze aus Gaza-Stadt aus dem Jahr 131/132 n. Chr., Tüb. Inv. Slg. Müller 1007. Foto: Stefan Krmnicek, Universität Tübingen.

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