Trotz Ausbildung oder Studium: Hürden bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse

Von Ute Kaiser

Lobna Alhindi hat ein Ziel. Die 36-jährige Syrerin will in einem qualifizierten Beruf arbeiten. Und: „Ich möchte auf der sicheren Seite sein, mit einem Zeugnis in der Hand.“

Doch dafür muss sie hohe Hürden nehmen. Die deutschen Behörden erkennen ihren Schulabschluss und ihr Studium in Syrien nur zum Teil an. Das zuständige Regierungspräsidium in Stuttgart attestierte ihr 2019 das „Niveau eines mittleren Bildungsabschlusses“.  Dieses Niveau entspricht dem Realschulabschluss oder der Fachschulreife. Damit könnte sie eine Ausbildung beginnen. Diese Entscheidung hat sie „sehr enttäuscht“. Die Anerkennungsberaterin von In Via im Tübinger Landratsamt hatte Lobna Alhindis Chancen auf eine höhere Einstufung besser eingeschätzt.

Die ehemalige Assistenzlehrerin in Al-Tabqa würde jetzt gern Erzieherin werden. Deshalb hat sie sich beim Kinder- und Familienzentrum Am Alten Ämmerle in Altingen auf die Warteliste für ein Praktikum setzen lassen. Ihre dreijährigen Zwillinge Tala und Taim gehen dort in den Kindergarten. Die „positiven Erfahrungen“ und das Konzept von Leiterin Simone Schwarzach haben Lobna Alhindi motiviert, diesen Berufsweg zu wählen. Es macht ihr Spaß, mit Menschen zu arbeiten und sich sozial zu engagieren. Das hat sie ziemlich schnell getan, nachdem sie 2015 in Deutschland und im Ammertal ankam.

Die ehemalige Englisch-Studentin hat am Anfang in Ammerbuch unter anderem für den Freundeskreis Asyl vom Arabischen ins Englische übersetzt und „ein bisschen“, wie sie sagt, in der Kleiderkammer geholfen. Weil sie positiv auf Menschen zugeht, kennt sie zahlreiche AmmerbucherInnen und hat viele Freundschaften geknüpft. Zunächst wohnte die Familie in Entringen, mittlerweile lebt sie in Altingen.

Ab 2017 hat Lobna Alhindi mit einer Kollegin für die Zeitung tünews INTERNATIONAL in Ammerbuch Veranstaltungen für Geflüchtete organisiert und moderiert. Dann kam die Corona-Pandemie. tünews wurde zum Online-Medium. Inzwischen hat Lobna Alhindi bei tünews einen Minijob als Übersetzerin.

„Es ist für Deutschland nicht gut, wenn wir nur zu Hause sitzen oder einen Minijob machen.“ So begründet sie, warum sie eine Ausbildung anstrebt. Das sei auch für ihre Kinder wichtig. Sie ist sicher: Ihr elfjähriger Sohn Hamza wäre „stolz“, wenn nicht nur der Vater arbeitet, sondern auch die Mutter.

Für ihren Mann Basheer war es ebenfalls nicht leicht, einen Job zu finden. Trotz seiner fünfjährigen Ausbildung als Automechaniker in Syrien bekommt er in seinem Beruf in Deutschland keine Stelle. In Syrien gibt es keine Computerdiagnosen. Er arbeitet jetzt als Fahrer bei einem Paketdienst. Aus vielen Gesprächen mit Geflüchteten über Berufspläne und Berufsaussichten weiß Lobna Alhindi: „Das Problem trifft nicht nur uns“ – sondern viele. Sie wünscht sich daher, dass der deutsche Staat im Interesse aller Betroffenen „flexibler ist“ und die Anerkennung von Abschlüssen „gut Ausgebildeter erleichtert“. Sie sind motiviert und wollen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten auch in der Arbeitswelt einbringen.

Lobna Alhindi lässt sich nicht entmutigen – obwohl ein Berater der Agentur für Arbeit ihr wenig Hoffnungen gemacht hat: Sie hätte nach einer Ausbildung zur Erzieherin mit 40 Jahren weniger Chancen auf einen Arbeitsplatz als deutlich jüngere BewerberInnen. Als Mutter dreier Kinder macht sie sich selbst „viele Gedanken“, ob und wie eine langjährige Ausbildung mit Familie und Haushalt möglich wäre.

Sie will daher in einem Gespräch an der Tübinger Mathilde-Weber-Schule (MWS) klären, ob möglicherweise Teile ihrer Ausbildung in Syrien anerkannt werden können. An der MWS gibt es drei Ausbildungswege für ErzieherInnen. Sie dauern zwischen drei und vier Jahre.

Lobna Alhindis nächster Schritt in die Arbeitswelt ist, ihre Deutschkenntnisse aufzufrischen. „Meine Sprache ist seit Corona schlechter geworden“, bedauert sie. Wegen der Pandemie hatte sie weniger Kontakte zu Deutschen als vorher.

 

Info: In Via berät im Tübinger Landratsamt zu ausländischen Schul- und Berufsabschlüssen:  https://invia-drs.de/gemeinsam-perspektiven-entwickeln/beratung-zu-auslaendischen-abschluessen

 

Ein Ordner voller Dokumente

Lobna Alhindi hat viele Dokumente in einem Ordner gesammelt. Darin ist das Zeugnis des syrischen Erziehungsministeriums aus dem Jahr 2003 abgeheftet. Das Ministerium bescheinigt ihr: Sie hat den wissenschaftlichen Zweig der Sekundarschule bestanden. Neben Arabisch und Englisch gehörten dort auch Mathematik, Physik und Chemie zu ihren Fächern. Im Ordner findet sich auch das Zeugnis vom „Mittleren Institut für die Ausbildung von Hilfslehrern“ im syrischen Al-Riqa. In dem Diplom bestätigen unter anderem der Direktor des Instituts und der syrische Erziehungsminister der Studentin den Abschluss im Studienjahr 2004/2005 in der Fachrichtung Englisch mit „sehr gut“. Danach hat Lobna Alhindi drei Jahre lang als Assistenzlehrerin Kinder bis zur 6. Klasse an einer Schule in Al-Tabqa bei Rakka unterrichtet. Das kann sie aber nicht beweisen. Die Schule ist ebenso wie das Wohnhaus der Familie Alhindi zerbombt, sagt sie. Die Suche nach Dokumenten ist auch aus einem anderen Grund unmöglich: Lobna Alhindi hat keinen Kontakt mehr zu Menschen in ihrem ehemaligen Wohnort in Syrien.

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Lobna Alhindi hat die Dokumente ihrer Schul- und Studienzeit in einem Ordner abgeheftet. Nur ein Nachweis über drei Jahre als Assistenzlehrerin in Al-Tabqa fehlt. Es ist nicht möglich, ihn zu besorgen. Die Schule ist zerbombt und Lobna Alhindi hat keine Kontakte mehr zu Menschen dort. Foto: Ute Kaiser.

TÜNEWS INTERNATIONAL

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