Durch Fernsehen automatisch eine Fremdsprache lernen

Von Michael Seifert

Die Deutschen sprechen nicht gut Englisch. Das hat eine vergleichende europäische Studie ergeben: Demnach sind nur 40 Prozent in der Lage, ein einfaches Gespräch auf Englisch zu führen, in den Niederlanden und in Skandinavien sind es über 80 Prozent der Bevölkerung. Manche Experten erklären das schlechte Abschneiden damit, dass Deutschland ein „Synchronisationsland“ ist, das heißt englischsprachige Filme werden für das Fernsehen und im Kino auf Deutsch synchronisiert, während sie in anderen Ländern im „Original mit Untertiteln“ (OmU) gesendet werden. Dadurch würden die Menschen, die diese Filme sehen, „automatisch“ im Englischen besser.

tünews INTERNATIONAL hat mit Rosemarie Tracy darüber gesprochen, wie sich Fernsehen und Filme im Original beim Lernen einer Fremdsprache positiv auswirken können. Tracy hat lange an der Universität Tübingen gearbeitet, ist seit 1995 Professorin an der Universität Mannheim und forscht über Spracherwerb und Mehrsprachigkeit.

„Wenn wir einen Film in einer fremden Sprache sehen, können wir trotz der Unkenntnis der Sprache aufgrund unseres Weltwissens und unseres gesunden Menschenverstandes raten, worum es sich handelt. Wir sehen den Kontext, die Handlungen, Gesichtsausdruck und Bewegungen der handelnden Personen“, erläutert Rosemarie Tracy. „Das kennen wir auch aus dem alltäglichen Leben. Wenn wir verstehen wollen, was kleine Kinder uns sagen wollen, achten wir auch darauf, was sie gerade tun und was sich in der Situation ereignet.“ Filme haben den Vorteil, dass man sie sich mehrmals ansehen und immer mehr Aufmerksamkeit auf die Sprache verlagern kann. Man gewöhne sich so an Laute, Lautkombinationen, die Sprachmelodie, die Betonungsmuster von mehrsilbigen Wörtern, den Rhythmus der fremden Sprache. „Wir schnappen auf diese Weise auch schnell die üblichen Floskeln zur Begrüßung und typische Redewendungen auf. Und unser Gehirn registriert aufgrund von Häufigkeiten grammatische Regelmäßigkeiten, das Auftauchen von Wörtern im gleichen Kontext. Das geschieht ganz automatisch, ohne dass es uns bewusst wird, so wie auch ein Kind sprechen lernt.“

So kann es geschehen, dass ein albanischer Taxifahrer Italienisch lernt, ohne je einen Sprachkurs gemacht zu haben. Oder dass ein Geschwisterpaar im Kosovo durch das Schauen spanischer Spielfilme mit Untertiteln genug gelernt hat, um Spanisch dann als Geheimsprache zu nutzen. „Die Untertitel helfen natürlich anfangs enorm beim Lernen“, sagt Tracy.

Was bedeutet dies nun für Geflüchtete? Es scheint, dass die meisten von ihnen bei ihrem Medienkonsum im Fernsehen, im Internet und auf Youtube ganz überwiegend Angebote in der Muttersprache nutzen. Tracy findet das verständlich: „Die muttersprachlichen Angebote haben etwas Tröstliches in einer fremden Umgebung, in der es schwerfällt, sich zurechtzufinden. Die Filme halten die Verbindung zur alten Heimat aufrecht.“

Die Geflüchteten besuchen in der Regel Sprachkurse auf unterschiedlichen Niveaus und versuchen, ihre Deutschkenntnisse durch Kontakt mit Deutschen zu verbessern. Oft beklagen sie, gerade in Zeiten der Pandemie, dass sie zu wenig Kontakt haben. Das Nutzen deutscher Medienangebote, beispielsweise im Fernsehen, könnte ihre Sprachkenntnisse auf unterhaltsame Weise verbessern. Rosemarie Tracy: „Gerade das Hörverstehen lässt sich dadurch sicher deutlich verbessern. Das ersetzt nicht die zwischenmenschliche Kommunikation, kann aber den Weg dorthin ebnen.“ Hilfreich für das Verstehen können die deutschen Untertitel für Hörgeschädigte sein, und sie unterstützen auch die Kenntnisse des geschriebenen Deutsch. Hier wird erklärt, wie man diese Untertitel aktivieren kann: Fernsehen: Untertitel am TV einschalten – so geht’s – CHIP

Noch weitere Tipps kann Tracy geben: „Man muss nicht unbedingt nur Spielfilme schauen, gut verständlich sind Sendungen mit Alltagsbezug wie Kochsendungen, Ratgebersendungen oder Erklärsendungen für Kinder. Und warum nicht in der Familie mit den Kindern zusammen die Filme anschauen? Kinder gehen zur Schule und können in der Regel besser Deutsch als ihre Eltern, sie können also beim Verstehen helfen und gewinnen an Selbstbewusstsein.“

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Sprachen lernen durch Fernsehen. Foto: tünews INTERNATIONAL / Mostafa Elyasian.

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