Die Pandemie wirft Geflüchtete bei der Integration zurück

Von Lobna Alhindi und Michael Seifert

Überall kann man das hören: Geflüchtete beklagen sich darüber, dass sich ihre Sprachfähigkeiten im Deutschen durch eineinhalb Jahre Pandemie nicht weiterentwickeln oder sich sogar zurückbilden. Lobna selbst stellt fest: „Ich habe das Gefühl, den Kontakt mit der deutschen Sprache verloren zu haben. Vor der Corona-Pandemie hatte ich viele Kontakte mit deutschen Freunden. Wir haben uns öfter getroffen und uns unterhalten. Wegen des Lockdowns konnten wir uns dann nicht mehr begegnen. Auch als die Situation wieder besser wurde, haben wir uns nicht mehr getroffen. Einerseits wollen die Leute sich und ihre Angehörigen vor der Ansteckung schützen, andererseits haben sie sich wieder an ihr Leben ohne uns Geflüchtete gewöhnt.“

Eine Umfrage unter syrischen Frauen hat diesen Eindruck bestätigt. So sagt Samar, sie habe nur noch ihre Muttersprache gesprochen: „Meine Sprache ist deutlich zurückgegangen, da ich mich nicht mit meinen deutschen Bekannten und Nachbarn treffen durfte.“ Auch Kinder machen diese Erfahrung, berichtet Nasiba: „Wegen Corona musste der Schulunterricht online durchgeführt werden. Meine Tochter war in der ersten Klasse, jetzt ist sie in der dritten Klasse. Sie hat wenig gelernt und ihre Sprache hat sich nicht viel verbessert. Und sie hat sich auch kaum mit ihren Mitschülern getroffen.“ Tala schließlich meint, dass alle Bereiche, nicht nur die Sprache betroffen seien: „Der Lockdown war ein großes neues Hindernis auf dem Weg zur Integration – auf allen Ebenen, sozial, psychologisch und sprachlich. Ich musste wieder ganz von vorne beginnen.“

Auch die ehrenamtlichen Unterstützer der Geflüchteten bestätigen diese Erfahrungen. So berichtet Michael Mautner, Sprecher des Freundeskreises Asyl in Mössingen: „Viele Kontakte sind durch Corona abgerissen. Kommunikation gab es oft nur noch über WhatsApp oder Telefon.“ Allerdings habe sich durch die Impfungen die Situation gebessert. In Mössingen finde jetzt wieder eine direkte Familienbetreuung von etwa 20 bis 25 Familien durch Ehrenamtliche statt. „Aber für die persönliche Betreuung gilt wie für die Sprachkurse die 2 G-Regel. Wer nicht geimpft oder genesen ist, kann nicht an den Sprachkursen teilnehmen. Und diese Personen können auch nicht erwarten, dass man sie zu Hause besucht und sich dadurch in Gefahr bringt. Die meisten unserer Ehrenamtlichen sind ja ältere Menschen.“ Ein großes Defizit sieht er im Fehlen einer „abendlichen Begegnungsmöglichkeit, wie wir sie früher hatten, wo man einfach hinkommen, sich austauschen und Rat suchen kann. Im Moment ist es sehr schwer, dafür einen geeigneten Raum zu finden, aber wir suchen weiter.“

Auch eine sozialwissenschaftliche Studie der Universität Erlangen-Nürnberg kam nach einem Jahr Pandemie zu dem Ergebnis: „Die Coronakrise gefährdet die Fortschritte, die in den vergangenen Jahren bei der Integration von Geflüchteten in Deutschland geschafft wurden.“ Die Studie zeige auch, dass sich die Pandemie sehr stark auf Mobilität, Gesundheit, Wohnen, Bildung und Ausbildung sowie Arbeit auswirke. All diese Bereiche seien aber für die Integration außerordentlich wichtig.

tun21110205

Bahngleise mit Blick auf die Stiftskirche Tübingen. Foto: tünews INTERNATIONAL / Martin Klaus.

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