Geflüchtete reisen nicht illegal nach Deutschland ein

Von Michael Seifert

Innenminister verschiedener Bundesländer und auch der frühere Bundesinnenminister haben in den letzten Wochen in Statements gegenüber den Medien immer wieder von illegaler Einreise von Geflüchteten nach Deutschland gesprochen. Diese zunehmenden „unerlaubten“ Einreisen seinen beunruhigend und müssten verhindert werden. Diese Politiker sprechen aber nicht darüber, dass Menschen einen guten Grund haben, nach Deutschland zu kommen, wenn sie Asyl suchen. tünews INTERNATIONAL fragte beim Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer nach, wie die Rechtslage ist. Er ist Experte für Ausländer- und Flüchtlingsrecht.

„Wenn eine Person aus einem Drittland ohne einen gültigen Aufenthaltstitel oder ein Visum die Grenze nach Deutschland überschreitet, ist dies in objektiver Hinsicht eine illegale Einreise und damit eine Straftat“, erläutert Rothbauer. „Allerdings kann eine Person, die vor schlimmen Dingen wie einem Krieg oder Verfolgung wegrennt, nicht vorher noch einen Visumsantrag bei einem deutschen Konsulat stellen, das auch in der Regel nicht um die nächste Ecke liegt. Deswegen hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass jede Person, die vor was auch immer flieht und Asyl sucht, auch unerlaubt in die Bundesrepublik einreisen darf.“ Sie müsse dann aber unverzüglich „ohne schuldhaftes Verzögern“ einen Asylantrag stellen und erhalte dann eine Aufenthaltsgestattung. „Damit ist die unerlaubte Einreise geheilt und nicht strafbar. Das gilt auch dann, wenn das Asylverfahren negativ ausgeht.“

Wie muss das konkret geschehen, was muss man dann tun? Rothbauer: „Der/die Geflüchtete muss sich bei einer Polizeibehörde oder einer städtischen Ausländerbehörde melden und das Wort ‚Asyl‘ oder ‚Flüchtling‘ aussprechen, z.B. ‚I am a refugee‘.“ Das müsse die Polizeibehörde protokollieren und an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiterleiten. Die Person komme dann zunächst in eine zentrale Aufnahmestelle des betreffenden Bundeslandes.

Gibt es überhaupt für Geflüchtete eine legale Einreisemöglichkeit? Ja, im Rahmen von Kontigentprogrammen. Auf diese Weise wurden 2015/16 1000 jesidische Frauen vor der Verfolgung durch den IS nach Baden-Württemberg in Sicherheit gebracht. Rothbauer nennt zusätzlich die Möglichkeit, mit einem gefälschten Visum einzureisen. Das ist aber nur solange eine legale Möglichkeit, bis eventuell in einigen Fällen die Visa überprüft und eventuelle Fälschungen festgestellt und gegebenenfalls als Straftat verfolgt werden.

In einer Pressemitteilung gab die Bundespolizei Ende des Jahres 2021 bekannt, dass es 2021 über 11.000 illegale Einreisen von Geflüchteten gab, die die belarussisch-polnische Grenze trotz der Grenzschutztruppen überwinden konnten und durch Polen durchreisten. Das ist ein besonderer Fall, der Probleme aufwirft. Denn Polen ist dann das erste Land der EU, das die geflüchtete Person betritt und müsste daher das Asylverfahren durchführen. Rothbauer beklagt: „Doch leider funktioniert dieses EU-Asylsystem in der Praxis nicht. Denn die Polen lassen, weil sie ja mit Muslimen ein Problem haben – wie sie auch ganz offiziell sagen –, die Flüchtlinge, die es über die polnische Grenze geschafft haben, nach Deutschland durchreisen.“ In Deutschland müsste dann nach der Dublin-Regelung geprüft werden, ob die Personen schon anderweitig registriert wurden. „Das führt dann dazu, dass Deutschland die Asylverfahren führen muss, wohl wissend, dass die Leute natürlich über Polen gekommen sind“, erläutert Holger Rothbauer.

Häufiger werden die geflüchteten Menschen jedoch zum Teil gewaltsam an der polnischen Grenze durch die polnischen Grenzpolizisten zurückgewiesen. Dieser sogenannte „Pushback“ ist für Rothbauer ein klarer Verstoß gegen die EU-Richtlinie, die 2013 von allen EU-Staaten verabschiedet wurde, auch von Polen. Denn alle diese Geflüchteten hätten Anspruch auf ein rechtsstaatliches Asylverfahren. Das Gleiche gelte für die Rückführung von Geflüchteten über das Meer durch die griechische Polizei oder für die Pushback-Maßnahmen an der kroatisch-bosnischen Grenze. Hohen Respekt hat Rothbauer für Menschen aus der polnischen Bevölkerung: „Es ist herausragend, wie die versuchen, den Geflüchteten zu helfen, mit allem was sie haben.“

Rechtsquellen für die Ausführungen von Rechtsanwalt Holger Rothbauer: § 95, Absatz 1 Aufenthaltsgesetz, § 12, 13 und 55 Asylgesetz.

tun22020101

Ein Kastenwagen der Polizei. Foto: tünews INTERNATIONAL / Mostafa Elyasian.

Aktuelle Informationen zu Corona: Hier klicken

TÜNEWS INTERNATIONAL

Related posts

Contact Us

Magazine Html