Eine antike griechische Münze aus der Ukraine zeugt von einem Krieg vor über 2000 Jahren

Von Stefan Krmnicek

Wer in diesen Tagen im März 2022 die Nachrichten liest, der erfährt von erbitterten Kämpfen in den Städten und Dörfern entlang des Flusses Südlicher Bug. Als breiter Strom bildet er eine naturräumliche und damit militärstrategisch wichtige Barriere im Küstenland zwischen den Hafenstädten Odessa im Westen und Cherson im Osten. Auf dem westlichen Ufer seiner Flussmündung liegen die Ruinen der antiken Stadt Olbia. Diese Siedlung wurde von Griechen aus Milet gegründet und diente als Handelsplatz für den Export von Waren, wie Getreide und Sklaven, aus der Steppenzone nördlich des Schwarzen Meeres und für den Import von Gütern, wie Luxus- und Gebrauchskeramik, in das Land der Skythen. Noch in römischer Zeit existierte an der Stelle eine Stadt, in der die mediterrane Kultur gepflegt wurde, wie wir etwa anhand eines ausführlichen Berichts des Reiseschriftstellers und Philosophen Dion von Prusa aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. wissen.

Antike griechische Bronzemünze von der ukrainischen Schwarzmeerküste. Foto: Stefan Krmnicek, Universität Tübingen.

 

Die Münzsammlung des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Tübingen besitzt mehrere Münzen aus dem antiken Olbia, von denen eine hier genauer vorgestellt werden soll. Die Bronzeprägung mit der Inventarnummer I 603/6aa wiegt 4,69 g und hat einen Durchmesser von 19 mm. Sie gelangte als Teil des Vermächtnisses von Karl von Schäffer, dem ehemaligen Direktor der früher so genannten „Irrenanstalt“ von Zwiefalten, im Jahre 1888 an die Tübinger Sammlung und ist unter https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/object?id=ID9937 im Digitalen Münzkabinett des Instituts für Klassische Archäologie frei verfügbar. Auf der Vorderseite der Münze sehen wir den Kopf eines bärtigen Mannes mit langem, gewellten Haar nach links im Profil. Damit ist der für den Fluss Dnepr namensgebende Flussgott Borysthenes dargestellt. Die Rückseite der Münze zeigt einen Bogen in einer Bogentasche, links davon eine typische skythische Axt, deren hinterer Teil zu einem geschwungenen Dorn geformt ist. Die fragmentierte Beschriftung lässt sich zu OΛBIO als Hinweis für den Stadtnamen Olbia und dem Monogramm EΠI ergänzen. Letzteres steht wohl als Abkürzung für den für die Prägung verantwortlichen Beamten, vielleicht ein gewisser Epikrates.

Was ist nun an dieser Münze besonders – außer, dass es sich um eine antike griechische Prägung aus dem aktuellen Kriegsgebiet in der Ukraine handelt? Der politische Hintergrund, vor dem dieser Münztyp in Olbia entwickelt wurde, ist interessant: Während der Herrschaft von Alexander dem Großen unternahm um 331 v. Chr. dessen Statthalter in Thrakien, der Makedone Zopyrion, einen Feldzug an die nördliche Schwarzmeerküste und belagerte die Stadt Olbia. Die Einnahme scheiterte jedoch. Eine antike Quelle spricht davon, dass Zopyrions Heer von den mit der Stadt Olbia verbündeten Skythen geschlagen wurde. Nach diesem Ereignis begann Olbia mit der Prägung dieses Münztyps. Die typisch skythischen Gerätschaften und das Porträt des Flussgottes Borysthenes, der auch als Ahnherr in der skythischen Mythologie eine zentrale Rolle einnimmt, könnte aus folgendem Grund gewählt worden sein: Die Bildmotive sollten vielleicht eine institutionalisierte Erinnerung an die erfolgreiche Abwehr der Belagerung und die skythische Hilfe bei der Bekämpfung der makedonischen Truppen schaffen. Damit ist die Münze nicht nur ein spannendes Artefakt aus der nordöstlichen Randzone der antiken Mittelmeerkultur, sondern zugleich auch ein trauriges Zeugnis für Blutvergießen vor über 2000 Jahren, welches – so, wie heute – nur Leid und Trauer mit sich bringt.

tun22032001

Antike griechische Bronzemünze von der ukrainischen Schwarzmeerküste. Foto: Stefan Krmnicek, Universität Tübinge

Aktuelle Informationen zu Corona: Hier klicken

 

TÜNEWS INTERNATIONAL

Related posts

Contact Us

Magazine Html