Ein antikes Touristenziel als Münzbild

Von Mona Hähnle
Es gibt Fälle, in denen Münzen sich sehr gut mit literarischen Quellen verbinden lassen und diese visuell ergänzen. So ist es auch bei der Münze, die hier vorgestellt wird. Es handelt sich um eine Bronzemünze mit einem Gewicht von 17,23 g und einem Durchmesser von 3 cm. Auf der Vorderseite ist das Porträt des römischen Kaisers Philippus II. dargestellt. Er trägt einen Lorbeerkranz, eine Rüstung und einen auf dem Rücken drapiertem Umhang. Die Umschrift benennt den Kaiser auf Altgriechisch. Auf der Rückseite der Münze ist die Göttin Atargatis zu sehen. Sie sitzt frontal auf einem Löwen, der nach rechts schreitet. In ihrer rechten Hand hält sie ein Zepter und auf ihrem Kopf trägt sie eine Mauerkrone. Die altgriechische Umschrift nennt sie die „syrische Göttin von Hierapolis“.
Der Hauptverehrungsort der Atargatis, die als Göttermutter, als Herrin der See und der Tiere, als erotische und kriegerische Gottheit und als Schicksals- und Schutzgöttin verehrt wurde, war die antike Stadt Hierapolis, das heutige Manbidsch in Nordsyrien, von der auch unsere Münze stammt. Leider ist von der antiken Stadt bis auf einige Reste der Stadtmauer nicht viel erhalten, da sie modern überbaut wurde. Allerdings berichtet der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebende Satiriker Lukian von Samosata detailliert von dem Tempel und dem Kult der Atargatis. Für das kaiserzeitliche Syrien ist diese Quelle einzigartig und hilft uns einen lebendigen Einblick in die Kultpraxis einer Region zu gewinnen, von der wir außerhalb der Münzprägung nur wenige archäologische Zeugnisse haben.

 

Bronzemünze aus Hierapolis. Die Vorderseite zeigt das Portrait des Kaisers, die Rückseite zeigt das Kultbild der lokalen Gottheit Atargatis (https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/object?lang=de&id=ID7879). Foto: Stefan Krmnicek.

In seinem Werk beschreibt Lukian das Aussehen der heute nicht mehr erhaltenen Statue der Atargatis: „In diesem Innersten des Tempels stehen die Bildsäulen […] sitzend auf Löwen […] In der einen Hand hält sie ein Zepter, in der andern eine Spindel; auf dem Haupt trägt sie einen Turm und ist mit Strahlen umgeben; auch ist sie mit dem Gürtel geschmückt […] Außerdem ist sie über und über mit Goldblechen behangen, die mit sehr kostbaren weißen, wasserblauen und feuerfarben Edelsteinen besetzt sind.“ Beim Vergleich dieser Beschreibung mit dem Münzbild kann man feststellen, dass sie in vielen Punkten miteinander übereinstimmen. Die kleineren Attribute wie Spindel und Gürtel sind auf der Münze nicht erkennbar, da das Münzbild zu klein ist, um solche Details abzubilden.
Durch das Werk von Lukian haben wir die Möglichkeit, die Statue der Atargatis mit der Darstellung auf der Münze zu vergleichen und mehr über den Kult und Tempel der Göttin zu lernen. Lukian bezeichnet diesen als größten und ehrwürdigsten Tempel der ganzen Welt und berichtet von Festen, für die Pilgernde von weit her anreisten. Das Heiligtum der Atargatis war somit von überregionaler Bedeutung und spielte für die Einwohner von Hierapolis ebenfalls eine große Rolle, weil es Touristen, Geld und Handelsgüter in die Stadt brachte. Dies spiegelt sich auch in der kaiserzeitlichen Münzprägung wider, da auf fast allen Münzen von Hierapolis die syrische Göttin in der Umschrift genannt und dargestellt ist wie auf unserer Münze.
Der Text entstand im Wintersemester 2021/22 am Institut für Klassische Archäologie der Universität Tübingen im Seminar „An der Küste und in der Wüste. Die Münzen des antiken Syrien“ unter der Leitung von Prof. Stefan Krmnicek. Die Lehrveranstaltung widmete sich der umfangreichen Münzprägung der antiken syrischen Städte und ihrem kulturellen, religiösen und politischen Hintergrund. Ausgewählte Ergebnisse der studentischen Seminararbeiten werden in tünews INTERNATIONAL vorgestellt, damit möglichst viele Menschen an den interessanten Erkenntnissen teilhaben können.

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Bronzemünze aus Hierapolis. Die Vorderseite zeigt das Portrait des Kaisers, die Rückseite zeigt das Kultbild der lokalen Gottheit Atargatis (https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/object?lang=de&id=ID7879)http://(https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/object?lang=de&id=ID7879). Foto: Stefan Krmnicek.

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