Von David Firschau und Yana Rudenko
Die Große Landesausstellung in Stuttgart „The Hidden Länd“ (das verborgene Land) gewährt einen faszinierenden Einblick in die Geschichte Baden-Württembergs im 1. Jahrtausend nach Christus. Funde aus dem Land und aus der westlichen Ukraine zeigen, dass Migration bereits damals ein wichtiges Thema war. Außerdem behandelt die Ausstellung die Themen Integration, Kommunikation, Spiritualität und Macht in Schritten von je ca. 200 Jahren – aufwändig inszeniert.
Integration und gegenseitiger Respekt
Integration war bereits zu Anfang des ersten Jahrtausends nach Christus ein Teil der Lebensrealität. Viele dem Römischen Reich freundlich gesinnte germanische Stämme siedelten in den besetzten Gebieten östlich des Rheins. Die Römer begrüßten die Ansiedlung. Die Siedler mussten sich in eine schon bestehende gesellschaftliche Ordnung integrieren. Sie taten dies durch Anpassung und Kompromissbereitschaft. Zum Beispiel bei Begräbnissen, wie der erste Raum der Ausstellung versucht zu verdeutlichen. Bei beiden Bevölkerungsgruppen waren Brandbestattungen üblich. Ein nachgebildeter Scheiterhaufen aus Papier, in dem von einem Projektor erzeugte Flammen züngeln, und Reste eines römischen Prunkportals sollen zeigen, dass jeder seine Riten in rücksichtsvollem Maß ausüben konnte.
Internationale Vernetzung – Sueben in der Ukraine
Im ersten Raum der Ausstellung sind unter anderem spektakuläre Grabfunde aus dem Westen der Ukraine zu sehen. Die Glasobjekte, Werkzeuge und der Schmuck werden erstmals in Deutschland präsentiert. Die Beigaben in den germanischen Gräbern aus dem Beginn des dritten Jahrhunderts nach Christus haben einen überraschenden Bezug zu Südwestdeutschland. In einem Fürstengrab fand sich auch ein Kessel aus Buntmetall. Er war ein Statussymbol und diente als Graburne für einen ranghohen Sueben. Die drei am Kessel angebrachten aufwändig dargestellten Nachbildungen von Männerköpfen wurden in römischen Werkstätten gefertigt und zeigen je einen seitlichen Haarknoten, der von hinten nach vorne gekämmt an der Vorderseite des Kopfes verflochten wird. Da diese Form des Haarstils keiner anderen Volksgruppe zugeordnet werden kann, wird er auch als Suebenknoten bezeichnet. Die Sueben sind durch Inschriften im Oberrheintal und im Neckarraum nachgewiesen. Auf einem Grabstein aus Offenburg wird ein Anführer der Sueben erwähnt. Der Kessel ermöglicht also kulturelle Querverbindungen aus dem Südwesten Deutschlands in weit entfernte Gebiete wie die Ukraine.
Ein Jahrhundertfund?
„Kariv als archäologischer Fund ist die Entdeckung des Jahrhunderts. Und das nicht nur für die Ukraine: Der Bronzekessel mit Aufsätzen in Form von männlichen Figuren, den wir zuvor gefunden haben, ist der dritte Fund dieser Art in der Welt. Außerdem zeigt das Gräberfeld, dass diese Gebiete von Menschen bewohnt waren, deren Existenz auf ukrainischem Gebiet bisher unbekannt war“, so Yaroslav Onyshchuk, Leiter der Ausgrabungen und Direktor des Instituts für Archäologie und Ur- und Frühgeschichte an der Ivan-Franko-Nationaluniversität in Lviv.
Migration und Wandel
Was geschah, als die Römer nach und nach abzogen? Weitere germanische Stämme wanderten ein. Die Alemannen übernahmen die nicht mehr genutzten römischen Häuser. Wenn ein Haus einem Brand zum Opfer fiel oder nicht mehr erwünscht war, wurden die neuen Häuser nach alemannischer Bauweise errichtet. Das brachten Ausgrabungen einer römischen und einer früh-alemannischen Siedlung in Güglingen (Kreis Heilbronn) ans Tageslicht. Die neuen Bauten veränderten das Erscheinungsbild der Ortschaft. Am Beispiel einer belebten Ladenstraße wird im zweiten Raum die Veränderung der Siedlung dargestellt. Durch stimmig beleuchtete Nachbauten der Gebäude zu beiden Seiten der Straße wird der Wandel für BesucherInnen verständlich. Die wechselnde Beleuchtung mit LEDs lässt die Häuser entstehen und wieder zerfallen: vom Steinbau zum Holzbau bis schließlich zum Grubenhaus.
Prunkvolle Grabbeigaben als Form der Kommunikation
Der größte Raum der Ausstellung behandelt die Themen Kommunikation und Spiritualität. Die Vitrinen sind wie Reihengräber angeordnet, die sich vom Beginn des Raumes in Richtung der Rückseite der Nachbildung der Sülchenkirche bei Rottenburg (Kreis Tübingen) ziehen. Die Kirche ist Teil des Themas Spiritualität, doch thematisch passt die Verknüpfung von Kirche und vorchristlichem Gräberfeld. Die meisten Gegenstände in den vorderen Vitrinen sind Grabbeigaben und wurden in Lauchheim im Ostalbkreis gefunden. Waffen und Schmuck zeugen vom Prunk und Ansehen der Besitzer. Durch gekonnte Platzierung und Lichttechnik können BesucherInnen sehen, wie das Grab ausgesehen hat. Vergleicht man die Grabstätten vor und nach der Christianisierung, sieht man, wie sich die Beigaben und Begräbnisformen geändert haben: weg von der Brandbestattung, von Waffen in den Gräbern und mitbestatteten Pferden hin zu Gewandnadeln, sogenannten Fibeln, Schmuck mit christlichen Motiven, Schalen und Kreuzmotiven.
Spiritualität – die Christianisierung
Das 7. und 8. Jahrhundert ist in Europa die Zeit der Christianisierung. Die ersten Kirchen entstehen im frühen Mittelalter, auch im Südwesten. Ein eindrucksvolles Zeugnis von sakralem Bauen kann man sogar betreten. Es befindet sich unter der Kuppel des Kunstgebäudes.
Eine riesige Konstruktion aus Stahlträgern und Textil wird ausgefüllt von einer Vielzahl an LEDs. Die wechselnde Beleuchtung des gesamten Nachbaus und damit auch des größten Raumes der Ausstellung ist eindrucksvoll anzusehen. Die Sülchenkirche wird in ihrer ursprünglichen Form und im Originalmaßstab präsentiert. Sie gilt als eine der ältesten christlichen Kirchen im Land. An den Außenseiten der Kirche sind weitere Vitrinen in grabsteinartiger Form mit Grabbeigaben aufgestellt. Diese haben nun oft religiöse Motive. Im Inneren des Gotteshauses findet man Exponate kirchlicher und religiöser Kunst.
Herrschaft und Macht
Das Thema Macht kommt am Ende der Ausstellung. In dem Raum haben es die Ausstellungsmacher geschafft, innovative Projektions-, Bau- und Lichttechnik gekonnt einzubauen. Durch gebogene Wände und optische Täuschung wirkt er wesentlich größer. Abgebildet ist eine königliche Empfangshalle einer sogenannten Pfalz. Der König empfing dort Gäste und demonstrierte ihnen seine Macht. Diese Hallen sind ähnlich einer Basilika aufgebaut. Rundlich, mit wenigen Fenstern und kontrolliertem Lichteinfall und Fackeln, gestützt von Säulen. Als Beispiel diente die Pfalz von Ulm.
Die Vitrinen sind in künstlichen Säulen untergebracht, die die Pfeiler der Macht zur Zeit der fränkischen Könige darstellen sollen. In der Mitte des Raumes findet sich eine Medienstation, die eine Menge an Informationen über das ausgehende 1. Jahrtausend bietet.
Die Große Landesausstellung 2024 „THE hidden LÄND – Wir im ersten Jahrtausend“ im Kunstgebäude am Schlossplatz in Stuttgart geht noch bis zum 26. Januar 2025. Informationen zu Besuch, Angeboten, Audioguides und zur Mittelalterbaustelle Campus Galli finden Sie unter: www.thehiddenlaend.de.
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Keyvisual der Werbekampagne zur Großen Landesausstellung. © Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg. Foto: JvM Neckar / Visuelle Kommunikation: Z10 Design Studio.
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