Die Büsten von Palmyra – Social Media vor über 2000 Jahren?

Von Youssef Kanjou

Die Stadt Palmyra im heutigen Syrien war in ihrer langen Geschichte berühmt für eine kulturelle Vermischung von Ost und West. Dies wird in der Architektur und in den verschiedenen Religionen deutlich. Vielleicht das Wichtigste ist die Tradition der Begräbniszeremonien in der hellenistischen und römischen Zeit (etwa 200 v. Chr. bis 300 n. Chr.).

Schon vor dem Tod wurde für jeden Menschen eine Statue von geschickten Bildhauern geschaffen. Die Statue ist auf die obere Hälfte der Person begrenzt und soll der Person möglichst ähnlich sein. Diese Büste soll der natürlichen Größe der Person entsprechen und den traditionellen Stil der Kleidung, der Ornamente und des Schmucks sowohl für Frauen als auch für Männer zeigen. In der Regel versuchen die Künstler die Personen schöner zu porträtieren als sie wirklich sind. Die Kopfbedeckung der dreidimensionalen Statue zeigt oft den Beruf des Besitzers an. Es gibt auch verschiedene Methoden des Haarstylings mit Locken- und Flechtmethoden sowohl für Männer als auch für Frauen. Diese Statuen werden vor dem Grab platziert und zeigen als Inschrift Name und Alter des verstorbenen Besitzers.

Man wollte in Palmyra mit den Büsten ein realistisches Porträt schaffen. Die in der römischen Ära weit verbreiteten Bildhauerwerkstätten spielten dabei die gleiche Rolle wie Fotografen heutzutage. Im Vergleich mit der heutigen Zeit ähnelt dies einem Passfoto oder einem Profilbild in den sozialen Medien. Haben die Palmyrer das Aufkommen der sozialen Medien geahnt? Oder waren die Statuen Kunstwerke, die Personen genau und zugleich verschönert darstellen sollten – als Folge des sozialen Wettbewerbs in der Gesellschaft? Die Palmyrer nahmen an, dass die Identität einer Person im Gesicht liegt, also stellten sie nur eine Büste von ihr her.

Das Foto zeigt von links eine russische Rekonstruktion, die originale Büste aus Palmyra, die japanische Rekonstruktion und dann den originalen Schädel und den durch Rekonstruktion ergänzten Schädel. Foto: tünews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

Um diese Hypothese zu bestätigen, führte ein Team japanischer Wissenschaftler eine Studie über die Übereinstimmung der Statue mit der verstorbenen Person durch, indem sie das Gesicht anhand des erhaltenen Schädels ganz realistisch rekonstruierten und mit der Statue verglichen. Dafür wurden auch Daten aus Museen aus aller Welt verwendet.

Es gab auch weit verbreitet Familiengräber, vor allem in der Oberschicht. Dutzende, wenn nicht Hunderte von Gräbern blieben erhalten und wurden über mehrere Generationen genutzt. Manchmal konnte das Grab von einer Familie an eine andere verkauft werden. Die meisten Gräber enthielten auch Skulpturen von „Leichenmahlzeiten“, die den verstorbenen Vater mit den hinterbliebenen Familienmitgliedern darstellen, während er auf einem Bett liegt und den Leichenschmaus zu sich nimmt.

Mehr als 3000 Statuen gibt es in vielen internationalen Museen, ob in Großbritannien, Dänemark, Frankreich oder Japan. Sie sind wie Botschafter der Palmyra-syrischen Zivilisation. Heute sind die Palmyrer durch den Krieg in Syrien über die ganze Welt verstreut – und diese Statuen können das Gefühl vermitteln, dass die Palmyrer nicht allein sind. Vielleicht ist dies einer der positiven Aspekte der Präsenz von Palmyra-Statuen in internationalen Museen, die illegal aus Syrien kamen. Werden sie eines Tages gemeinsam mit den Geflüchteten nach Syrien zurückkehren?

Weitere Informationen: https://projects.au.dk/palmyraportrait/videos/

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Traditionelle Darstellung eines Palmyra-„Leichenschmaus“: Der Verstorbene speist inmitten seiner hinterbliebenen Verwandten. Foto: tünews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

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