Ein syrischer Flüchtling schon vor 3.500 Jahren: König Idrimi von Aleppo

Von Youssef Kanjou

2016 konnte ich Idrimi, den König von Aleppo in seinem letzten Exil im British Museum besuchen, um ihn näher kennenzulernen und seine berühmte Geschichte zu lesen. Er selbst hat sie auf seine Statue geschrieben und sie beginnt mit seiner Familie. Diese herrschte in der Stadt Aleppo um 1500 v. Chr. Sein Vater hatte einen Konflikt durch eine Revolte in der Stadt. Deswegen mussten Idrimi und seine sechs Brüder in die Stadt Emar am Euphrat östlich von Aleppo flüchten. Diese Stadt wurde damals von seinen Onkeln regiert. Aber Idrimi wurde in Emar nicht als Herrscher behandelt und er durfte auch nicht politisch oder militärisch so aktiv sein, wie er wollte.

Er beschloss daher, politisches Asyl mit einer Gruppe seiner Anhänger und weiteren Aleppo-Flüchtlingen in einer anderen Stadt im Süden des Landes Kanaan zu beantragen, wie es auf dem rechten Arm der Statue steht. In dieser Stadt wurde er als Führer anerkannt. Von hier aus plante er, in seine Stadt Aleppo zurückzukehren.

König Idrimi brachte den Göttern Opfer. Er ließ Tauben am Himmel frei und beobachtete ihre Flugrichtung als eine Art Vorhersage der Zukunft. Er opferte auch Schafe, entnahm deren Leber und betrachtete ihre Formen, um sich vorzustellen, was die Götter über die Idee einer Rückkehr nach Aleppo sagen würden. Dieses Ritual dauerte sechs Jahre, und er las immer aus den Orakeln, dass Teššub, der Sturmgott und gleichzeitig die Hauptgottheit von Aleppo, ihm nicht die Erlaubnis gab, zurückzukehren. Aber im siebten Jahr erhielt er eine positive Antwort der Götter und ihre Unterstützung.

Idrimi bildete eine militärische Gruppe aus den Flüchtlingen, um an die Macht zurückzukehren. Er segelte entlang der syrischen Küste und besetzte die Stadt Alalakh nordwestlich von Aleppo, die zu dieser Zeit als eine wichtige Stadt galt, aber zu Aleppo gehörte. Idrimi wurde ihr König für 30 Jahre, annektierte Aleppo und begann, das hethitische Reich zu bekämpfen, das versuchte, sich auszudehnen. Er besetzte auch mehrere Städte in der Südtürkei und baute große Tempel und Paläste.

Im großen Tempel stellte er eine Statue von sich auf und ließ seine Autobiografie in Keilschrift auf die Vorderseite der Statue schreiben. Sie reicht in 104 Zeilen vom Kopf bis zu den Füßen der Statue. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Alten Orients, dass ein König seine politische Autobiografie auf ganz andere Weise geschrieben hat als sonst. Die Könige jener Zeit verzeichneten auf ihren Statuen nur ihre Kriegssiege.

Am Boden der Statue gibt es eine interessante Inschrift: „Wer versucht, die Statue zu zerstören oder die Keilschrift zu löschen, wird von mir und den Göttern verflucht.“ Noch ungewöhnlicher ist eine Inschrift auf dem Gesicht des Königs. Dort steht wie in einer Sprechblase eines modernen Comics vom Ohr bis zum Mund eine Art Segen: “Wer den Text auf der Statue liest und das Leben Idrimis erfährt, wird von mir einen Segen erhalten und für immer gesegnet sein.”

Eigentlich musste Idrimi zweimal aus seiner Heimat ins Exil: das erste Mal, als er aus Aleppo nach Emar vertrieben wurde. Das zweite Mal, als seine Statue 1939 aus seinem Tempel in Alalakh ins British Museum nach London kam, nachdem sie durch eine britische Ausgrabung entdeckt wurde. Niemand weiß, ob und wann die Statue von König Idrimi in seine Heimat zurückkehren wird.

Das Schicksal des Königs ist dem der meisten syrischen Geflüchteten heute sehr ähnlich: Sie können im Moment nicht nach Hause zurückkehren und niemand weiß genau, wann sie zurückkehren können, auch sie selbst wissen es nicht.

Idrimis Statue auf youtube: https://www.youtube.com/watch?v=SQtwqSahQxM

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Foto: tünews INTERNATIONAL; Mohamad Maqdad, 23.07.2020

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