Erste Studie zu „Russlanddeutschen“: gut integriert

2,7 Millionen Menschen sind aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion seit Ende der 80er Jahre nach Deutschland eingewandert, mit insgesamt 3,5 Millionen bilden sie heute die größte Zuwanderergruppe. Dennoch ist über ihre Situation wenig bekannt. Der Migrationsforscher Jannis Panagiotidis (Universität Osnabrück, seit 1.8.2021 Universität Wien) hat vor kurzem die erste umfangreiche Studie über diese Bevölkerungsgruppe vorgelegt, die er „postsowjetische MigrantInnen“ nennt. Dazu gehört übrigens auch der aktuelle deutsche Olympiasieger im Tennis Alexander Zverev.

Die postsowjetsowjetischen MigrantInnen kommen zum größten Teil aus Russland und Kasachstan, aber auch aus der Ukraine. Es geht dabei zum einen um Russlanddeutsche SpätaussiedlerInnen. Diese erhielten die deutsche Staatsbürgerschaft auf Grundlage ihrer individuell nachzuweisenden deutschen Abstammung sowie ihres kollektiven „Kriegsfolgenschicksals“: Ihre Vorfahren wurden nämlich im Zweiten Weltkrieg nach Sibirien und Kasachstan deportiert. Hinzu kommen etwa 220.000 so genannte „jüdische Kontingentflüchtlinge“. Diese erhielten in Deutschland Schutz vor dem zunehmenden Antisemitismus in der zerfallenden Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten. Die Bundesregierung sah darin auch eine Art Wiedergutmachung für die Vernichtung der Juden im Holocaust.

Sowohl SpätaussiedlerInnen als auch Kontingentflüchtlinge sind im Vergleich mit anderen Migrationsgruppen „privilegiert“: Sie kamen in einem geregelten Aufnahmeverfahren nach Deutschland, erhielten sofort einen sicheren Aufenthaltsstatus – im Falle der SpätaussiedlerInnen sogar die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Studie zeigt, dass die MigrantInnen aus der ehemaligen Sowjetunion auf dem Arbeitsmarkt gut integriert sind. Ihre Arbeitslosigkeit ist ungefähr so niedrig wie die von Deutschen ohne Migrationshintergrund, ihre Einkommenssituation hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Viele arbeiten aber unter ihrer Qualifikation, besonders Frauen häufig nur geringfügig. Gerade jüdische Kontingentflüchtlinge sind oft von Altersarmut betroffen.

Das Fazit von Panagiotidis lautet: „Gut drei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion und dem Beginn der umfangreichen Migration ehemaliger sowjetischer BürgerInnen nach Deutschland sind diese ein fester Bestandteil dieser Gesellschaft. Ihre Integration lässt sich als gelungen bezeichnen.“

Die Gruppe der Russlanddeutschen unterliegt allerdings besonderen Vorurteilen in der deutschen Migrationsgesellschaft: Diese Menschen seien in den meisten Fällen „weiß“, gelten als „unauffällig“ bis „unsichtbar“.“ Dennoch seien sie Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt. Denn gegenüber „dem Osten“ und insbesondere Russland gebe es immer noch traditionelle massive Vorurteile. Jüdische ZuwanderInnen seien zudem von Antisemitismus betroffen. Insgesamt sei die Einschätzung in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ambivalent: „Wenn es gut lief, waren die betroffenen Menschen ‚fleißige Deutsche‘ und ‚kultivierte Juden‘, wenn es schlecht lief, kriminelle, saufende, gewalttätige ‚Russen‘.“

Eine Zusammenfassung der Studie findet sich unter: MDI_Expertise_Postsowjetische_Migration.pdf (mediendienst-integration.de)

tun21080201

Traditionelle russische Schachtelpuppe: die Matrjoschka. Foto: tünews INTERNATIONAL/Hanna Sannwald.

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