Logo Tunews Magazin

Das Gedenkbuch vor dem Jüdischen Friedhof Wankheim

Der Landkreis Tübingen und die Gemeinde Kusterdingen haben sich 2022 dazu entschlossen, gemeinsam ein Gedenkbuch zu erarbeiten und vor dem Jüdischen Friedhof Wankheim aufzustellen.

Der Jüdische Friedhof Wankheim ist einerseits ein bleibender Friedhof, andererseits ein Kulturdenkmal und ein Ort der Erinnerungskultur. Jüdische Gemeinden haben sich stets auch erinnerungskulturell gebildet: Mitglieder der israelitischen Gemeinde setzten ihren Familienmitgliedern auf dem Friedhof Grabsteine, damit die Bestatteten ewig „in das Bündel des Lebens“ eingebunden seien, wie es auf vielen Grabsteinen heißt. Gemeint ist, dass man Verstorbener dauernd gedenkt und sie so in den Erinnerungen der Lebenden hält. Zu dieser Memorialkultur leisten Grabsteine und ihre Inschriften einen Beitrag.

Indessen wurden Millionen von Opfern der Shoah in den Gaskammern der Vernichtungslager oder bei Massenerschießungen ermordet, ihre Leichen in Krematorien verbrannt oder in Massengräbern verscharrt. An ihren Todesorten gibt es keine individuellen Grabsteine. Für 14 Deportierte aus Tübingen setzte Viktor Marx 1946 einen Gedenkstein auf dem Jüdischen Friedhof Wankheim. Für dieses namentliche Gedenken stiftete er in einer Zeit großer materieller Not Geld und Lebensmittel, damit der Tübinger Steinhauer Krauss den Gedenkstein anfertigte und aufstellte. Die Tübingerin Lilli Zapf wollte 1971 die Namensliste auf dem Gedenkstein von 1946 erweitern, weil sie „noch viel mehr Opfer des Rassenwahns“ gefunden habe.

2021 besprach der Tübinger Landrat Joachim Walter mit Vertretern der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg die Sanierung des Jüdischen Friedhofs Wankheim. Der Landrat schlug zusätzlich zur Sanierung ein Gedenkbuch für die Opfer der Shoah vor. Der Landkreis Tübingen stellte Mittel zur Verfügung, die Gemeinde Kusterdingen tauschte ein Grundstück für die Platzierung. Das Kreisarchiv Tübingen recherchierte die biografischen Informationen und verfasste die Texte. Bei der Qualifizierung von Jugendguides hatte das Kreis­archiv beobachtet, dass viele Informationen zu Opfern der Shoah in elektronischen und anderen Medien sich teilweise widersprechen, im Kontext fragwürdig oder unzureichend belegt sind. In Zeiten diffuser werdender Informationen benötigt gerade die Erinnerungskultur glaubhafte Informationen. Mangelnde Glaubwürdigkeit bei Informationsanbietern und fehlende Glaubhaftigkeit bei Detailinformationen arbeiten „Holocaust-Leugnern“ in die Hand.

Deshalb sind den 56 biografischen Texten im Gedenkbuch 890 Anmerkungsnummern in eckigen Klammern zugeordnet. Jede Anmerkung belegt die jeweilige Aussage anhand vor allem archivischer Quellenstellen. Die Quellen und Kontextinformationen zu den Anmerkungen veröffentlicht das Kreisarchiv Tübingen im Internet unter www.tüerinnern.de.

Das Kreisarchiv Tübingen hat zu Personen recherchiert, die in Gedenkwerken mit der Ortsangabe Tübingen verbunden sind oder die in Tübinger Unterlagen von Standesämtern und Meldebehörden vorkommen und die sicher oder wahrscheinlich Opfer der Shoah sind. Sehr viele von ihnen stehen in Beziehung zu Familien, an deren Mitglieder Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof Wankheim erinnern. Die Form eines Ringbuches ermöglicht, eventuelle Nachträge aufzunehmen und eventuelle Korrekturen zu berücksichtigen.

Die künstlerische Form des Gedenkbuches geht auf einen Wettbewerb zurück, den die Jury zur Vergabe des Lilli-Zapf-Preises 2022 ausgeschrieben hat. Träger des Lilli-Zapf-Preises ist KulturGUT im Landkreis Tübingen e.V., das Preisgeld stellt der Landkreis Tübingen zur Verfügung. Zur Jury gehören Mitglieder von Jugendvertretungen aus Kommunen im Landkreis Tübingen und einige der von KulturGUT und Landkreis qualifizierten Jugendguides. Am 23. März 2023 prämierte die Jury einen Entwurf des Künstlers Jochen Meyder. Meyder wurde 1940 in Leutkirch im Allgäu geboren. An das Studium der Kunstgeschichte und Philosophie in Tübingen und Stuttgart schloss er ein Studium an den Kunstakademien Stuttgart und Nürnberg an. Seit 1968 präsentiert Meyder Arbeiten von sich in öffentlichen Ausstellungen. Mehr als 30 Jahre lang arbeitete er neben seiner künstlerischen Tätigkeit als Kunsterzieher am Gymnasium. Meyder lebt und arbeitet in Dottingen bei Münsingen auf der Schwäbischen Alb. In seinem Entwurf hat Jochen Meyder die Idee des Gedenkbuches in den Raum gesetzt: Zwei senkrechte Stahlplatten sind in einem Winkel zueinander gestellt wie ein aufgeschlagenes Buch. In einer Aussägung liegt eine Metallplatte als Lesepult mit integriertem Ringbuch, in das die Aluminiumseiten mit Biografien Ermordeter eingehängt sind. Die Metallplatten bilden einen Raum, in dem man durch die Biografien blättern kann. Gleichzeitig rahmt die Aussägung im Buch den Blick auf einen Ausschnitt der umgebenden Landschaft und des Jüdischen Friedhofs.

Wolfgang Sannwald (Hg.): Gedenkbuch Jüdischer Friedhof Wankheim, Tübingen 2023. Im Auftrag des Landkreises Tübingen, Autorinnen und Autoren des Kreisarchivs: Anastasia Antipova, Karolina Belina, Verena Gumz, Wolfgang Sannwald, Elke Thran. Texte des Gedenkbuches samt ausführlichen Anmerkungen unter www.tüerinnern.de.

There is an english version available on

www.tueerinnern.de.

Contact Us

Magazine Html