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Geschichtlicher Überblick zum Jüdischen Friedhof Wankheim

1774 gestattete der ritterschaftliche Ortsherr Freiherr Friedrich Daniel St. André den Zuzug jüdischer Familien in sein Dorf Wankheim bei Tübingen. Die bürgerliche Gemeinde Wankheim verpachtete der jüdischen Gemeinschaft ab November 1774 einen Begräbnisplatz. Bestattungen sind in den Rechnungsbüchern der Gemeinde Wankheim ab 1776/77 belegt, der älteste erhaltene Grabstein wird auf 1788/89 datiert. Als die Israelitische Oberkirchenbehörde im Königreich Württemberg 1843 die Israelitische Gemeinde in Wankheim überprüfte, forderte sie dringend den Erwerb des Friedhofgeländes. Nach mehrjährigen Verhandlungen mit der bürgerlichen Gemeinde Wankheim erwarb die israelitische Kirchengemeinde durch Kaufvertrag vom 7. März 1847 das Grundstück „im Markreutle“, zu dem sie 1863/64 und 1899 weitere Flächen hinzukaufte. Das Friedhofsgelände maß schließlich 10 Ar 88 Quadratmeter.

Vor allem zwischen 1855 und 1869 wanderte der überwiegende Teil jüdischer Familien aus Wankheim ab, die meisten nach Tübingen. Die israelitische Oberkirchenbehörde verlegte deshalb 1882 den Sitz der israelitischen Gemeinde von Wankheim nach Tübingen. Seitdem firmierte die Jüdische Gemeinde Tübingen als Eigentümerin des Jüdischen Friedhofs.

In Folge der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939 wurde die Jüdische Gemeinde Tübingen in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ zwangsweise eingegliedert. Diese Reichsvereinigung stand unter der Kontrolle des Reichssicherheitshauptamtes, das im Deutschen Reich unter anderem die Verfolgung, Ausbeutung, Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung plante, koordinierte und betrieb. Die Reichsvereinigung vollzog Befehle des Reichssicherheitshauptamts und verkaufte das Friedhofs-Grundstück am 2. Juli 1943 um 75 Reichsmark an die Gemeinde Wankheim. Nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus restituierte die Gemeinde Wankheim das Friedhofsgelände durch Vergleich vom 18. April 1949 an die Israelitische Kultusvereinigung in Württemberg, die sich später in Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg umbenannte. Dieser gehört der Friedhof noch heute.

1945 befand sich der Friedhof noch im Besitz der bürgerlichen Gemeinde Wankheim. Der Bestattungsplatz war nach Schändungen 1938 oder 1939 „weitgehend zerstört“. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945), als französisches Militär Südwürttemberg und Hohenzollern verwaltete, setzten Stadt und Landkreis Tübingen den Friedhof instand. 1947, 1950, 1984, 1986 und 1990 kam es erneut zu Schändungen: Steine wurden umgestürzt, zerschlagen, beschmiert, Gräber ausgehoben.

Zur Erinnerung an deportierte Tübinger Jüdinnen und Juden stiftete Viktor Marx aus Tübingen 1946 einen Gedenkstein auf dem Jüdischen Friedhof Wankheim, rechts nach dem Eingangstor. Er ließ darauf vor seiner bevorstehenden Auswanderung in die USA auf eigene Kosten einmeißeln: „Dies sind die Opfer der Gemeinde Tübingen welche von den Nazi gemordet wurden”. Viktor Marx hatte selbst mehrere KZs überlebt, seine Frau Marga und seine Tochter Ruth gehören zu den Opfern der Massenerschießungen bei Riga 1942. Ihre Namen sind die ersten der 14 auf dem Stein Genannten, die vor allem in Gaskammern, bei Massenerschießungen oder in Ghettos ermordet worden sind.

Viele Grabdenkmale auf dem Jüdischen Friedhof sind verwittert. Seit den 1960er Jahren engagierten sich Lilli Zapf und weitere vor allem Tübinger Privat­initiativen, zuletzt der Förderverein für jüdische Kultur Tübingen e.V. für eine grundlegende Sanierung des Friedhofs. Interessierte Kommunen wie Kusterdingen und Tübingen setzten sich kontinuierlich für den Friedhof ein. Der Tübinger Landrat Joachim Walter besprach das Anliegen 2021 mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg als Eigentümerin des Friedhofs. Wichtig war, dass der Förderverein die Bauträgerschaft für die Sanierung des Friedhofs übernahm.

Kommunen sehen den Unterhalt und die Sanierung des Jüdischen Friedhofs Wankheim als Aufgabe von Bund und Land Baden-Württemberg, das sich mit circa 75 Prozent der auf knapp 300.000 Euro veranschlagten Kosten für die Sanierung aus Mitteln des Innenministeriums, der Denkmalpflege und der Denkmalstiftung beteiligte. Ohne dass sie es als ihre Pflichtaufgabe sehen, steuerten der Landkreis Tübingen und die Kommunen Kusterdingen, Tübingen sowie Reutlingen ihrerseits circa 25 Prozent freiwillig zu den Kosten bei. Die Kommunalparlamente stimmten den Ausgaben mit überwältigenden Mehrheiten zu. Der Förderverein für jüdische Kultur in Tübingen sammelte Spenden. Diese breite Kooperation von Kommunen, Land und Ehrenamt ermöglichte eine umfassende Sanierung von Grabsteinen und Friedhof unter Anleitung von Anne-Christin Schöne vom Landesamt für Denkmalpflege 2021 bis 2024.

Kurzfassung des Beitrags von Wolfgang Sannwald: Die jüdische Gemeinschaft in Wankheim und ihr Friedhof, in: Manuel Mozer (Hg. im Auftrag der Gemeinde Kusterdingen): Jüdisches Leben in Wankheim. Gegeneinander – Nebeneinander – Miteinander. Festschrift zum 250-jährigen Jubiläum der Gründung der Jüdischen Gemeinde Wankheim, erscheint 2024.

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