Vor über 10.000 Jahren: Die frühen Bauern im Norden Syriens malten kunstvolle Wandgemälde

Von Youssef Kanjou

Es ist nicht genau bekannt, wann der Mensch begann, Kunstwerke zu schaffen. Aber es ist klar, dass die Geschichte der Kunst sehr alt ist. In der Jungsteinzeit, vor allem im Norden Syriens und in der südlichen Türkei, entstanden mit der so genannten „neolithischen Revolution“, der Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht, auch Kunstwerke. Wir stellen hier zwei Wandgemälde vor, die in der mittleren Euphrat-Region im Norden Syriens gefunden wurden.

Das erste Gemälde wurde 2002 an der Fundstelle „Dja’de el-Mughara“ am linken Euphrat-Ufer in einem riesigen runden Haus entdeckt. Es ist zur Hälfte unterirdisch mit drei gewaltigen symmetrischen Säulen. Diese Art von Gruppenhäusern war im elften Jahrtausend vor heute üblich.

Das Gemälde besteht aus wunderbaren geometrischen Formen, die in weißer, schwarzer und roter Farbe erscheinen und miteinander Wellen bilden. Diese erinnern an Flechtwerk oder Körbe und symmetrische Formen. Als Farbstoffe wurden natürliche Materialien verwendet: Die weiße Farbe stammt von Kalksteinfelsen, die rote Farbe von Ockerfelsen und die schwarze Farbe von Kohle.

Gemälde der Tänzerinnen am Tell Halulah aus dem neunten Jahrtausend vor heute. Weibliche Figuren erscheinen in Rot auf einem Stuckboden. Heute im Museum in Aleppo. Foto: M. Molist.

Der oder die antiken Künstler färbten zunächst die Lehmwand als Hintergrund weiß ein und malten darauf dann geometrische Formen in Schwarz und Rot, eine Methode, die auch heute noch von Künstlern angewandt wird. Von der Malerei ist eine große Fläche von etwa zehn Quadratmetern an den Wänden und der Decke des Hauses erhalten.

Archäologen nannten dieses Haus „Haus der Künste“, das nicht zum Wohnen, sondern für soziale und religiöse Aktivitäten oder Veranstaltungen gedacht war. Es hatte ähnliche Funktionen wie die heutigen Gotteshäuser oder Kulturzentren. Die Wandmalerei stammt aus dem elften Jahrtausend vor heute. Es ist nicht nur eine der ältesten im Nahen Osten entdeckten Malereien, sondern auch das älteste bekannte Wandgemälde in einem Gebäude.

Das zweite Gemälde, das so genannte „Tänzerinnen-Gemälde“, wurde 1997 auf dem Boden eines Hauses in Tall Halula entdeckt, in der Nähe des rechten Euphrat-Ufers östlich von Aleppo. Es stammt aus dem neunten Jahrtausend vor heute. Das Gemälde zeigt eine Reihe von 23 weiblichen Figuren in Rot, die um ein Quadrat mit Linien im Inneren versammelt sind. Diese Figuren wurden in einer einfachen Technik gemalt und heben sich durch ihre rote Farbe vom grauen Grund ab.

Gesamtansicht des Gemäldes im „Haus der Künste“ auf der Ausgrabung. Die Komposition erinnert an eine Weberei oder Korbflechterei und muss Teil einer langen Tradition sein. Es ist die älteste bekannte gemalte dekorative Wandmalerei der Welt und befindet sich jetzt im Museum von Aleppo. Foto: Mission archéologique de Dja’de.

Man kann zwei Gruppen unterscheiden: In der ersten sind die Vorderseiten der Frauen dargestellt – durch ihre Hände verbunden. In der zweiten erscheinen Frauen seitlich und sind durch das Becken miteinander verbunden. Diese Figuren sind 14 bis 20 cm groß. Das Bild wird als ritueller Tanz in der Zeit der frühen Bauern interpretiert.

Zwischen den beiden Malereien besteht ein Zeitunterschied von etwa tausend Jahren. Sie stammen aber aus demselben geografischen Gebiet: Die Entfernung zwischen den beiden archäologischen Stätten beträgt nur etwa zehn Kilometer. Die Malerei mit den Tänzerinnen erscheint technisch und inhaltlich weiterentwickelt. Das Malen auf Gips funktionierte besser und half, das Gemälde für längere Zeit zu schützen. Das Abbilden von menschlichen Figuren ist an sich schon ein fortschrittliches Phänomen. Denn davor stellten sich die Menschen dieser Epoche nicht selbst dar, sondern beschränkten sich in ihren Zeichnungen nur auf Tiere, Pflanzen und geometrische Formen. Es dauerte lange, bis die Menschen sich selbst zeichnen konnten, was durch die Funde in vielen „neolithischen“ Stätten in der Region belegt wird.

Eine wichtige Frage, die sich stellt und auf die es mehrere Antworten gibt, lautet: War die „neolithische“ Kunst das Ergebnis eines Hobbys einer oder mehrerer Personen, oder war sie Ausdruck der damals vorherrschenden sozialen und religiösen Überzeugungen? Wie auch immer die Antwort lauten mag: Die beiden Malereien stellen den Höhepunkt einer künstlerischen Entwicklung des Menschen dar, die lange vorher begonnen hatte. Sie bildeten die Grundlage und den Kern der Kunst, die sich später in der Jungsteinzeit in großem Umfang ausbreitete und die wir bis heute in verschiedenen Teilen der Welt bewundern können.

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