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Getarnter Hilferuf aus dem KZ Theresienstadt

Briefumschlag

„Liebe Julie, die Eltern und ich sowie mein l(ieber) Mann denken oft an Dich, es geht uns ordentlich und sind froh, beieinander zu sein“ – was auf den ersten Blick als eine ganz unverfängliche Postkarte aus dem Konzentrationslager (KZ) Theresienstadt kommt, hat einen ernsten Hintergrund.

Das von der NSDAP gelenkte Deutsche Reich ließ nach der Eroberung des heutigen Tschechien ab November 1941 ein ghettoähnliches Lager in Theresienstadt in Nordböhmen errichten. Seit Januar 1942 war es dann vor allem für viele deutsche und tschechische Jüdinnen und Juden eine Durchgangsstation für Transporte in die Vernichtungslager. Die Nationalsozialisten propagierten das KZ zynisch als „Altersdomizil“ und „Privilegiertenghetto“, tatsächlich handelte es sich aber um stark überfüllte Massenunterkünfte, in denen äußerst schlechte hygienische Zustände und Lebensbedingungen herrschten.

Die Tübinger Jüdin Ilse Bloch-Löwenstein wurde am 18. Juni 1943 in das KZ Theresienstadt deportiert. In einer Postkarte, die auf den 24. September 1943 datiert ist, bedankt sie sich bei der Dußlingerin Julie Klett für ein Paket. Der Inhalt des Pakets scheint Bloch-Löwenstein gefallen zu haben, „besonders das Fett“, schreibt sie, hätten sie „gut verwerten“ können. Doch dieses Paket, von dem dort die Rede ist, gab es nie.

Die Lebensmittel im Konzentrationslager Theresienstadt reichten nicht, das Lager war überfüllt und die hygienischen Zustände unzumutbar. Viele Menschen starben dadurch. Das vermeintliche Dankschreiben ist deshalb ein getarnter Hilferuf – mit der Botschaft: schickt uns Fett!

Ilse Bloch-Löwenstein überlebte den Holocaust nicht. Die Postkarte ist das letzte bekannte Lebenszeichen von ihr. Sie wurde am 23. Oktober 1944 weiter in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und in den Gaskammern ermordet. Ihr Mann Oscar Bloch wurde bereits eine Woche zuvor, am 16. Oktober, nach Auschwitz deportiert und dort getötet.

Autor: Raphael Fröhlich, Schüler und Jugendguide im Landkreis Tübingen

Redaktion: Kreisarchiv Tübingen

Quellen:

Postkarte Ilse Bloch-Löwenstein im Kreisarchiv Tübingen

Apel, Linde/Deutsches Historisches Museum: Das Ghetto Theresienstadt, in: Lebendiges Museum Online, 06.09.2014, https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/voelkermord/ghetto-theresienstadt.html (abgerufen am 06.06.2021).

Zeitschrift Erinnerungskultur vor Ort, Edition 2, Reihe B, 22.06.2020, S. 40–41.

Abbildungen: Kreisarchiv Tübingen

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