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Pagel, Charlotte

Charlotte Pagel wurde am 29. September 1894 in Berlin geboren. Ihre weiteren Vornamen waren Helene und Michalina. Ihre Eltern waren der praktische Arzt Julius Leopold Pagel und dessen Ehefrau Marie geborene Labaschin. Sie wohnten in Berlin in der Chausseestraße 56. Beide Eltern waren „mosaischer Religion“. [3501] In einem Wiedergutmachungsverfahren reichte Walter Pagel zu Beginn der 1960er Jahre einen Lebenslauf über seine Geschwister Albert und Charlotte ein. Demnach besuchte Charlotte Pagel eine höhere Töchterschule und das „Elisabeth Lyzeum“ in Berlin. Ab 1910 erhielt sie eine Gesangsausbildung von Elisabeth Lee. Sie habe mehrfach bei Aufführungen der Schüler von Frau Lee mitgewirkt „und sich grossen Beifalls erfreut“. [3502] Die Sängerin Elisabeth Lee hieß mit bürgerlichem Namen Elisabeth Levysohn (Levisohn). Sie wurde am 14. September 1942 von Berlin aus ins Ghetto Theresienstadt auf dem Gebiet der heutigen Stadt Terezín im tschechischen Bezirk Litoměřice deportiert, wo sie starb. [3503]

In einem Schreiben aus der Nachkriegszeit berichtete Albert Pagels Bruder Walter, dass seine Schwester Charlotte Pagel, statt eine Sängerkarriere zu machen, ihr Leben „bewußt geopfert“ und sich der Pflege ihres kranken Bruders Albert gewidmet habe. [3504] Charlotte Pagel zog mit ihrem Bruder Albert 1927 nach Tübingen. Sie waren ab dem 21. August 1927 in der Melanchthonstraße 25 und ab dem 1. Juni 1932 in der Kelternstraße 8 gemeldet. Den Meldeunterlagen zufolge war Charlotte Pagel ledig und „ohne Beruf“. Ihre Religion sei „israelitisch“. [3505] Nach Angaben aus der Wiedergutmachungsakte lebten die Geschwister in einem gemeinsamen Haushalt. Sie bezogen eine Rente aus Privat­besitz, der den beiden gemeinsam gehörte. [3506]

Mit einem für den 13. Juli 1942 geplanten Deportationstransport ab Stuttgart sollte unter anderem Charlotte Pagel abgeschoben werden. [3507] Nach einem Bericht des Tübinger Kriminalsekretärs Häußler vom 9. Juli 1942 wurde ihre Abschiebung vorläufig zurückgestellt. [3508] Der Tübinger Polizeiamtsvorstand schrieb am 15. Juli 1942 an die Stuttgarter Geheime Staatspolizei, Charlotte Pagel habe ihren „beinahe 60-jährigen Bruder“, Dr. Albert Pagel, der „eine jammervolle Figur darstellt“, zu betreuen. Im Falle einer „Evakuierung“ sollten „beide Pagel weggeschafft“ werden. Der Polizeiamtsvorstand hielt weder Albert Pagel noch seine Schwester Charlotte für „jemals transportfähig“. [3509] Die Stuttgarter Geheime Staatspolizei teilte dem Tübinger Polizeiamtsvorstand am 14. August 1942 als neuen Deportationstermin für einen Transport „nach dem Protektorat“ den 22. August 1942 mit: „Ein Ausscheiden eines namhaft gemachten Teilnehmers aus irgend einem Grunde, Krankheit, Gebrechlichkeit usw.“ könne nicht mehr erfolgen. [3510] Mit „Protektorat“ wurde das Territorium der vom Deutschen Reich 1939 annektierten Tschecho-Slowakischen Republik bezeichnet.

Der Tübinger Kriminalobersekretär Wendnagel unterzeichnete am 20. August 1942 eine „Transportliste der abzuschiebenden Juden der Stadt Tübingen“. Unter der laufenden Nummer 4 steht der Name von Pagel, Charlotte. Sie wird als „led. Haustochter“ bezeichnet. Mit der Nummer 3 ist der Name ihres Bruders Dr. Albert Pagel aufgeführt. [3511] Den Tübinger Meldeunterlagen zufolge war Charlotte Pagel am 20. August 1942 „unbekannt verzogen“. [3505] Ihr Name steht mit der laufenden Nummer 917 auf der Namensliste zum Transport XIII/1. Der Transportzug fuhr am 22. August 1942 vom Stuttgarter Nordbahnhof ab und traf am 23. August 1942 im Ghetto Theresienstadt im Gebiet der heutigen Stadt Terezín im tschechischen Bezirk Litoměřice ein. [3512]

Charlotte Pagel wurde am 23. Januar 1943 vom Ghetto Theresienstadt ins KZ Auschwitz-Birkenau, das überwiegend auf dem Gebiet des heutigen polnischen Landkreises Oświęcim in der Woiwodschaft Kleinpolen lag, weiterdeportiert. Zusammen mit Charlotte wurde auch ihr Bruder Albert nach Theresienstadt (Nummer 916) und weiter ins KZ Auschwitz (Transport-Nummer Cr 1822) deportiert. [3513]

Der Transport mit der Bezeichnung Cr, in dem sich 2029 Männer, Frauen und Kinder befanden, erreichte das KZ Auschwitz-Birkenau am 24. Januar 1943. Diejenigen, die bei der Ankunft als arbeitsfähig selektiert wurden, wurden ins Lager gebracht. Die anderen wurden in den Gaskammern ermordet. [3514] Durch Beschluss des Amtsgerichts Tübingen vom 1. April 1959 wurden Charlotte und Dr. Albert Pagel zum 26. Januar 1945 für tot erklärt. [3515]

KrATÜ P1-35

Der Landkreis Tübingen und die Gemeinde Kusterdingen haben sich 2022 dazu entschlossen, gemeinsam ein Gedenkbuch zu erarbeiten und vor dem Jüdischen Friedhof Wankheim aufzustellen.

1774 gestattete der ritterschaftliche Ortsherr Freiherr Friedrich Daniel St. André den Zuzug jüdischer Familien in sein Dorf Wankheim bei Tübingen. Die bürgerliche Gemeinde Wankheim verpachtete der jüdischen Gemeinschaft ab November 1774 einen Begräbnisplatz.

An dieser Stelle informieren wir darüber, welche weiteren Erkenntnisse es zum Gedenkbuch vor dem Jüdischen Friedhof Wankheim gegeben hat und welche Textstellen in der online-Version des Gedenkbuches korrigiert wurden.

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