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Reinauer, Philippine

Philippine Reinauer wurde am 15. Juli 1860 in Mühringen geboren. Heute ist Mühringen ein Ortsteil der Stadt Horb am Neckar im Landkreis Freudenstadt. Ihre Eltern waren Marx Reinauer und dessen Ehefrau Fanni geborene Reinauer [sic]. Seit 1871 wohnte die Familie in Tübingen. [3801] Im Tübinger Adressbuch von 1877 wird Marx (Max) Reinauer als Optiker und Graveur bezeichnet. Als seine Adresse ist die Kirchgasse 13 angegeben. [3802] Marx Reinauer starb am 23. März 1881 in Tübingen. [3803] Sein Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof in Wankheim. [3804] Fanni (Fanny) Reinauer starb am 19. März 1919 in Tübingen. [3805] Ihr Grab befindet sich ebenfalls auf dem Jüdischen Friedhof in Wankheim. [3806]

Philippine Reinauer war in Tübingen zunächst in der Kirchgasse 8 und dann vom 28. September 1909 bis zum 26. März 1941 in der Mauerstraße 25 gemeldet. In der Tübinger Meldekartei wird ihre Religion als israelitisch, ihr Familienstand als ledig und ihr Beruf als „Privatiere“ bezeichnet. Philippine Reinauer wurde am 26. März 1941 nach „Heggbach/Laupheim“ abgemeldet. [3807] Heggbach gehört heute zur Gemeinde Maselheim im Landkreis Biberach. Der Meldekartei der Gemeinde Maselheim zufolge zog Philippine Reinauer am 26. März 1941 in die Pflegeanstalt in Heggbach. Im Karteikartenfeld „Beruf“ ist „Pflegling“ eingetragen. In der linken oberen Ecke der Meldekarte wurde handschriftlich mit rotem Stift ein „J.“ eingetragen. [3808] Damals kennzeichneten Passbehörden mit diesem Buchstaben Menschen jüdischer Herkunft.

Die Pflegeanstalt Heggbach war eine Einrichtung für behinderte Menschen. Von 1939 bis 1942 wurden nach Heggbach auch ältere und pflegebedürftige Jüdinnen und Juden zwangsverlegt. Ein Teil von Ihnen starb in Heggbach, andere wurden Opfer der Eu­thanasiemorde oder „nach Osten“ zur Vernichtung deportiert. [3809] 174 Pfleglinge aus Heggbach wurden 1940 in Grafeneck im Gebiet der heutigen Gemeinde Gomadingen im Landkreis Reutlingen ermordet. [3810] Zusammen mit Philippine Reinauer war ihre Schwester Sofie Reinauer nach Heggbach gebracht worden. [3811] Sofie Reinauer starb am 11. Januar 1942 in der Pflegeanstalt. Als Todesursache wurde „Arterienverkalkung“ angegeben. [3812]

Die Geheime Staatspolizei in Stuttgart hatte per Funkspruch vom 8. Juli 1942 die Abschiebung der noch in Heggbach befindlichen Juden, „insgesamt 10 Personen“ angekündigt. Die Gestapo hatte mitgeteilt, dass diese am 11. Juli 1942 „mittels einzutreffenden Kraftfahrzeuges zur Abschiebung“ kommen würden, da es sich „um lauter gebrechliche alte Personen“ handle. Der Gendarmeriemeister des Gendarmerie-Einzelpostens Maselheim bestätigte am 11. Juli 1942 an den Landrat in Biberach an der Riß, dass diese Abschiebung „nunmehr geschehen“ sei. Er ergänzte: „Die Heil- u. Pflegeanstalt Heggbach ist somit von Juden frei.“ [3813]

Diese Abschiebung betraf auch Philippine Reinauer: Nach der Meldekartei der Gemeinde Maselheim wurde sie am 11. Juli 1942 von Heggbach nach „Generalgouvernement“ abgemeldet. [3808] In der Nachkriegszeit rekonstruierte die Dokumentationsstelle zur Erforschung der Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs 1933-1945 Deportationslisten. Auf einer Liste steht der Name von Philippine Reinauer mit der laufenden Nummer 1705. Philippine Reinauer ist anhand ihres Geburtsortes und Geburtsdatums identifizierbar. Laut dieser Liste wurde sie am 13. Juli 1942 deportiert. [3814]

Ein Sonderwaggon mit 53 Deportierten, der an einen fahrplanmäßigen Personenzug angehängt war, fuhr damals vom Stuttgarter Nordbahnhof ab. Der Waggon aus Stuttgart wurde in München an einen Waggon mit 50 weiteren Menschen jüdischer Herkunft angehängt. Die am 13. Juli aus Stuttgart und München Deportierten wurden nach Recherchen der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Chemnitz, wo am selben Tag 18 Juden abfahren mussten, oder in Leipzig, wo 160 bis 170 deportiert wurden, an den dortigen Transport angehängt. Schlussendlich waren sie ein Teil von anderen Transporten, die aus einigen nord- und mitteldeutschen Städten wie Bielefeld, Braunschweig, Köslin, Schwerin, Berlin, Magdeburg, Hamburg zwischen dem 10. und 11. Juli 1942 abfuhren. [3815] Alle diese Transporte kamen zwischen dem 14. und dem 16. Juli als ein Sammeltransport im KZ Auschwitz, das überwiegend auf dem Gebiet des heutigen polnischen Landkreises Oświęcim in der Woiwodschaft Kleinpolen lag, mit beinahe 1.000 Deportierten an. Dort wurden die Deportierten sofort nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet. [3815]

KrATÜ P1-38

Der Landkreis Tübingen und die Gemeinde Kusterdingen haben sich 2022 dazu entschlossen, gemeinsam ein Gedenkbuch zu erarbeiten und vor dem Jüdischen Friedhof Wankheim aufzustellen.

1774 gestattete der ritterschaftliche Ortsherr Freiherr Friedrich Daniel St. André den Zuzug jüdischer Familien in sein Dorf Wankheim bei Tübingen. Die bürgerliche Gemeinde Wankheim verpachtete der jüdischen Gemeinschaft ab November 1774 einen Begräbnisplatz.

An dieser Stelle informieren wir darüber, welche weiteren Erkenntnisse es zum Gedenkbuch vor dem Jüdischen Friedhof Wankheim gegeben hat und welche Textstellen in der online-Version des Gedenkbuches korrigiert wurden.

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