Mit Jugendguides durch die Ausstellung der „Entgrenzten Anatomie“

Gräberfeld X

Woher bekam die Tübinger Anatomie Leichen für Forschungszwecke? Die Jugendguides Anna und Anne gingen den Spuren des Anatomischen Instituts der Universität Tübingen in der Ausstellung “Entgrenzte Anatomie. Eine Tübinger Wissenschaft und der Nationalsozialismus” nach und präsentierten ihre Erkenntnisse öffentlich.

Unter anderem stießen sie auf den Wandel der „Armenanatomie“ zur „Rassenanatomie“ mit Beginn des Zweiten Weltkrieges. Während 1934 im Leichenbuch meist wenige mittellose deutsche Männer verzeichnet wurden, steigt die Zahl während des Krieges drastisch; bereits 1941 lassen sich im Leichenbuch Sammeltransporte mit polnischen Zwangsarbeitern und sowjetischen Kriegsgefangenen nachweisen. Der Bedarf nach Leichen war groß. Besonders nachdenklich stimmte Anne die „Bestellung“ eines Oberassistenten von 1941 an die Tübinger Frauenklinik; er spricht von „Material“, das „frisch“ abgeholt wird, während er unter anderem „1 Kind ab 7. Monat“ listet.

Welchem Zweck sollten die Körper der Anatomieopfer dienen?

Anda prangerte aber auch den Missbrauch der Wissenschaft zu rassenideologischen Zwecken an: die Handabdrücke jüdischer Menschen, der Gall‘sche Schädel und weitere Exponate scheinen eindrücklich. Des Weiteren stellte sie eine Quelle vor, die im Zusammenhang mit der diesjährigen Exkursion im Rahmen des Jugendguidesqualifizierung in das ehemalige Konzentrationslager Natzweiler-Struthof bereits schon einmal aufgetaucht war: Der Rapport vom 31. August 1943 verzeichnet die Ankunft von 86 Juden aus Auschwitz in Natzweiler. Sie wurden dort vergast, um ihre Körper für eine antisemitische Skelettsammlung des „Ahnenerbe“ in Straßburg auszustellen.

Wer waren die Menschen hinter den Präparaten und warum sind sie überhaupt in die Tübinger Anatomie gelangt?

Anne lenkte nun den Blick auf das Bild des polnischen Zwangsarbeiters Franciszek Gacek, es war ihr wichtig auch die Geschichte eines Opfers zu erzählen. Sein Verbrechen? Einmal Geschlechtsverkehr mit einer deutschen Frau. Sein Urteil: Exekution. Was damals als „Rassenschande“ bezeichnet wurde, scheint heute vollkommen unverständlich und doch wurde auch sein Körper nach seinem gewaltsamen Tod für die Wissenschaft missbraucht. Ohne Einverständnis zu geben – das betonten Anda und Anne stets bei ihrer Führung, wenn es um die Opfer ging.

Was passierte nun mit den Körperteilen, die nicht mehr genutzt wurden?

Laut Kurt Gerstein wurden sie auf dem Anatomiefriedhof verscharrt. Anda stellte anhand seines Beschwerdebriefs von 1938 an den Reichs- und Preußischen Minister des Innern die unwürdigen Zustände des Anatomiefriedhofs während des Nationalsozialismus vor. Existiert dieser Friedhof heute noch? Ja, heute dient das Gräberfeld X der Erinnerung an die Anatomieopfer und der Mahnung an uns als Gesellschaft. Nach zehn Minuten Fußweg von der Alten Anatomie zum Gräberfeld X auf dem Stadtfriedhof begannen Anne und Anda sofort nach einem Namen zu suchen: Franciszek Gacek.

Die Ausstellung “Entgrenzte Anatomie” läuft noch bis zum 30. September 2024.

TÜNEWS INTERNATIONAL

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