Syrische Erfahrungen: Strom sparen und ersetzen

Von Youssef Kanjou
Die deutschen Medien sind voll mit Empfehlungen zum Sparen von Strom und Energie und malen düstere Szenarien von potenziellen Stromausfällen aus. Unser syrisches Redaktionsmitglied Youssef Kanjou berichtet hier von Erfahrungen während des Krieges in Syrien.
„Morgens ohne Strom aufzuwachen und sich in völliger Dunkelheit den Bart rasieren, eine Zahnbürste benutzen oder sich sogar die Haare kämmen zu müssen, das ist eine Erfahrung, die wir in Syrien täglich erlebt haben.
Aber Not macht erfinderisch, das gilt für Syrer immer, wenn sie in Schwierigkeiten sind und Hilfe brauchen. Als der Krieg 2011 nach Aleppo kam, wurden die Wasser- und Stromnetze gleich beschädigt. Die Menschen begannen stark unter den häufigen und langen Ausfällen zu leiden. Daher mussten sie einen Weg finden, Strom und Wasser zu sparen und dann bei Bedarf zu nutzen. Daher boomte sofort der LED-Markt und die LED-Läden waren allgegenwärtig.
Wenn der Strom ausfiel, benutzte man anfangs Mini-Ladegeräte, die mit Strom aufgeladen waren und dann kurzzeitig für Licht genutzt werden konnten. Bei längeren Stromausfällen hilft diese Methode jedoch nicht weiter. Die Leute benutzten auch Kerzen für die nächtliche Beleuchtung, aber es gab eine so starke Verwendung von Kerzen in Häusern, dass ihr Preis stieg und sie bald nicht mehr erhältlich waren. Auch gab es kein Internet oder Fernsehen mehr, mit dem die Leute sich nachts und in ihrer Freizeit hätten vergnügen können. Daher war jetzt der einzige Gedanke, wie man noch Strom bekommen könnte.
Die Kollegen tauschten während der Arbeitszeit untereinander ihre Methoden zum Energie- und Beleuchtungssparen in der Nacht aus. Besonders erinnere ich mich an eine seltsame Methode: Als Kerzenersatz nimmt man eine kleine Tasse mit Linsen und Öl und legt ein Stück Baumwolle in die Mitte, das man anzündet: schon hat man einen Kerzenersatz. Das war eine tolle Erfindung, sehr günstig und von langer Dauer.
Aber die Haushalte brauchten Beleuchtung für längere Zeit, also versuchte man eine andere Methode: Zwei alte Autobatterien wurden an Stromkabel angeschlossen, um sie aufzuladen, wenn es Strom gab. Bei Stromausfall gaben sie dann Licht über LED-Leuchten. Diese Methode war jedoch nicht sehr praktisch und hatte häufige Ausfälle.
Eine traditionelle Methode bestand darin, kleine Generatoren zu verwenden, die aber nur wenige Menschen hatten. Aber die Geräusche waren sehr nervig und man brauchte Benzin, das kaum verfügbar und sehr teuer war.
Als der Krieg immer länger dauerte, entwickelten die Menschen eine neue Art, Strom durch große Generatoren zu bekommen, die in jeder Gasse aufgestellt wurden. Die Leute kooperierten mit dem Besitzer eines großen Generators, um einen oder mehrere Verstärker zu kaufen. Haushalte wurden so meist nachts mit Strom versorgt. Über die Verstärker konnten in den Häusern Licht, Fernseher und Waschmaschinen betrieben werden. Die Geräte wurden „Ampere“ genannt, weil jeder Haushalt ein bis drei Ampere an Stromstärke kaufen konnte. Diese Methode wird noch heute in Aleppo angewendet.
Heutzutage setzen einige Menschen auf Solarenergie, die zu einer guten Stromversorgung geworden ist, da die meisten Tage im Jahr sonnig sind. Überhaupt verwenden die Menschen in Aleppo derzeit ausschließlich Sparlampen.
Wenn wir Syrer jetzt wegen des Krieges in der Ukraine von Energieproblemen in Deutschland hören, sind wir nicht sehr überrascht, da wir Erfahrung mit solchen Situationen haben. Der Strom war über einen Monat lang abgeschaltet und im östlichen Teil von Aleppo sogar mehrere Jahre. Also haben wir uns stark an das Leben unter solchen Bedingungen angepasst.“

tun22091308

www.tuenews.de

Strom sparen und ersetzen auf syrische Art. Foto: tünews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

001678

 

 

TÜNEWS INTERNATIONAL

Related posts

Contact Us

Magazine Html