Erinnerung an eine versunkene Stadt

Von Jonas Brachmann
Heute soll eine Münze aus dem antiken Samosata, einer Stadt im römischen Syrien, vorgestellt werden. Samosata lag in der Nähe der heutigen Stadt Samsat im Osten der Türkei, im von dem schweren Erdbeben betroffenen Gebiet. Die Münze aus Bronze hat einen Durchmesser von 3,3 cm und ist 17 g schwer. Die Vorderseite zeigt die Porträtbüste eines bartlosen jungen Mannes nach rechts. Er trägt einen Brustpanzer, darüber einen Mantel, und ein Lorbeerkranz ziert sein Haar. Die Umschrift in griechischer Sprache gibt an, dass die Münze unter der Regentschaft des römischen Kaisers Philippus Arabs (247–249 n. Chr.) geprägt wurde und dass hier sein jugendlicher Sohn Philipp II. dargestellt ist.
Die Rückseite zeigt eine weibliche Figur, in ein langes Gewand gehüllt und auf einem Felsen ruhend, auf den sie sich mit ihrer linken Hand abstützt. Ihr Haupt trägt eine Mauerkrone, die sie als Tyche, als Stadtgöttin, auszeichnet. In ihrer rechten Hand hält sie Kornähren, die für den Wohlstand und den Überfluss der Stadt stehen. Ein Adler mit aufgefächerten Schwingen sitzt auf ihrem rechten Handgelenk. Unter ihren Füßen springt ein geflügeltes Pferd – der Pegasos – nach links. Die Umschrift verrät uns, dass die Münze in Samosata geprägt wurde. Zudem verweist sie auf den stolzen Titel der Stadt: „Metropolis von Kommagene“, der Region, in der Samosata liegt. Was macht nun die Rückseite dieser Münze so wichtig für unser Verständnis der antiken Stadt Samosata?

Das antike Samosata, war eine Stadt am Fluss Euphrat. Im Zentrum der Stadt lag ein befestigter Hügel, die Akropolis. Auf dieser stand der kommagenische Königspalast aus hellenistischer Zeit (ca. 330–30 v. Chr.). Prachtvolle Bodenmosaike und Wandmalereien sind erhalten. Auch ein Heiligtum für den Göttervater Zeus wird auf dem flachen Gipfel vermutet. Der Adler auf dem Handgelenk der Tyche könnte auf dieses Heiligtum verweisen. Zeus hat sich in den Mythen oft in einen Adler verwandelt und wurde mit dem mächtigen Raubvogel symbolisiert. Der flache Stein, auf dem sich die Stadtgöttin niedergelassen hat, könnte vielleicht für den Tempelberg selbst stehen.
Der springende Pegasos unter den Füßen der Tyche erinnert an die römische Epoche der Stadt: 72 n. Chr. wurde Samosata unter dem römischen Kaiser Vespasian (69–79 n. Chr.) annektiert. Eine Brücke und ein Aquädukt wurden errichtet, um die Versorgung der Stadt zu sichern und sie als Teil des Euphrat-Limes auszubauen. Auch eine Legion, eine Einheit des römischen Heeres, wurde dort stationiert. Das Feldzeichen der Legion war der Pegasos. Die Rückseite der Münze erzählt uns also davon, was für die Identität der antiken Stadt Samosata um 250 n. Chr. von Bedeutung war.
In den frühen 1990er Jahren wurden die archäologischen Überreste Samosatas durch den Bau des Atatürk-Staudamms überflutet. Viele Fundstücke wurden nach Rettungsgrabungen in das Archäologische Museum von Adıyaman gebracht – und die Münzen in den Museen der ganzen Welt (wie beispielsweise in Tübingen) lassen das Andenken an die einst so mächtige Stadt Samosata nicht der Vergessenheit anheimfallen.
Der Text entstand im Wintersemester 2021/22 am Institut für Klassische Archäologie der Universität Tübingen im Seminar „An der Küste und in der Wüste. Die Münzen des antiken Syrien“ unter der Leitung von Prof. Stefan Krmnicek. Die Lehrveranstaltung widmete sich der umfangreichen Münzprägung der antiken syrischen Städte und ihrem kulturellen, religiösen und politischen Hintergrund. Ausgewählte Ergebnisse der studentischen Seminararbeiten werden in tünews INTERNATIONAL vorgestellt, damit möglichst viele Menschen an den interessanten Erkenntnissen teilhaben können.

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Bronzemünze aus Samosata. Die Rückseite zeigt das Kultbild der Tyche von Samosata (https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/object?lang=de&id=ID7815). Foto: Stefan Krmnicek.

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