Die Muttersprache bestimmt, wie das Gehirn tickt

Von Oula Mahfouz und Michael Seifert
Hirnforscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben mit einem Magnetresonanztomographen (MRT) vergleichend untersucht, wie die Sprachverarbeitung in den Gehirnen von Menschen mit arabischer und deutscher Muttersprache funktioniert. Dabei sind sie auf ganz überraschende Ergebnisse gestoßen: „Die Arabischsprechenden haben eine starke Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften, während bei den deutschen Muttersprachlern die Verbindungen innerhalb der linken Hirnhemisphäre stärker ausgebildet sind“, erläutert Alfred Anwander, der Leiter der Studie im Gespräch mit tünews INTERNATIONAL. „Unsere Studie ist eine der ersten, in denen solche Unterschiede nachgewiesen werden konnten. Unter den Sprachforschern ist eigentlich die Auffassung verbreitet, dass alle Gehirne Sprache auf die gleiche Weise verarbeiten, dass es ein universelles Netzwerk für die Sprachverarbeitung gibt, das bei allen Sprachen in etwa gleich funktioniert, auch wenn die Sprachen sich stark unterscheiden.“
In der arabischen Welt ist viel über diese neuen, im April veröffentlichten Forschungsergebnisse geschrieben worden, wie Oula Mahfouz festgestellt hat. „Man hat die Studie dort in den sozialen Medien wertend aufgenommen nach dem Motto: Unsere Sprache ist großartig, sie ist viel besser als die deutsche Sprache, denn sie nutzt beide Hirnhälften aus“, berichtet sie Alfred Anwander. Dieser tritt dem gleich deutlich entgegen: „Sprachen haben unterschiedliche Methoden, die Welt zu erklären, daran passt sich das Hirn an. Es gibt keine Hierarchie unter den Sprachen, nur die Tatsache, dass sich offenbar die Gehirnverbindungen zwischen den Sprachen unterscheiden.“ Und er vergleicht das mit den Unterschieden zwischen großen und kleinen Menschen: „Die Großen können hoch auf ein Regal hinaufgreifen, aber sie haben nicht die Beinfreiheit wie die Kleinen im Flugzeug oder im Kino.“
Aber wie ist es gelungen, diese Unterschiede festzustellen? Anwander erläutert: „Im MRT werden die Personen in eine Röhre geschoben, in der man mit starken Magnetfeldern die menschliche Anatomie messen und sichtbar machen kann. Bei unserer Untersuchung des Gehirns geht es speziell um die Verbindungen der Nervenfasern. Deren Verlauf lässt sich im MRT sichtbar machen – so ähnlich wie man auf einer Tischplatte die Richtung von Holzfasern sehen kann. Wir wissen bereits aus früheren Untersuchungen der Sprachforschung, in welchen Bereichen des Gehirns die verschiedenen Teile der Sprachverarbeitung stattfinden, also z. B. die Motorik des Sprechens, das Sprachverständnis, aber auch die komplexe Verarbeitung des Satzbaus und der Wortbedeutung. Uns interessierte nun, den Verlauf der Nervenfaserbahnen zwischen den Sprachverarbeitungszentren zu berechnen. Die Stärke dieses Netzwerkes der Nervenfaserverbindungen lässt sich dann statistisch zwischen den beiden Muttersprachengruppen vergleichen.“
Wie erklären die Wissenschaftler nun die Unterschiede der Nervenfaserverbindungen zwischen den beiden Sprachen? Hierzu führt Alfred Anwander aus: „Im Deutschen ist die Wortstellung im Satz sehr flexibel: Ein Verb kann am Anfang stehen, in der Mitte oder am Ende. Man muss den Satz bis zum Ende hören, um zu wissen, was Subjekt und was Objekt ist. Das Zentrum für die Verarbeitung des Satzbaus liegt in der linken Gehirnhälfte, deshalb sind dort die Verbindungen bei den Deutschsprechenden stärker ausgeprägt. Das Arabische mag in dieser Hinsicht einfacher sein. Aber dort liegt die Komplexität in einem anderen Bereich, zum Beispiel im Reichtum des Wortschatzes und damit in der Wortbedeutung, aber auch in der Markierung der grammatikalischen Funktion der Wörter. Dadurch wird das Verständnis der einzelnen Wörter schwieriger und das Netzwerk dafür ist dann im Gehirn stärker ausgebildet.“

 

MRT-Darstellung des Sprachnetzwerks im Gehirn. Foto: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig

Diese Unterschiede findet der Neurowissenschaftler auch deswegen sehr spannend, weil man sie vielleicht für den Fremdsprachenunterricht fruchtbar machen könnte. In einer zweiten Studie wird untersucht, was in den Gehirnen der arabischsprachigen Menschen passiert, während sie Deutsch lernen. Dadurch will man herausfinden, wie sich das Nervennetzwerk beim Lernen einer neuen Sprache verändert. Die Erkenntnisse könnten am Ende dazu dienen, Methoden für das Lernen von Fremdsprachen zu verbessern.
Erste Ergebnisse aus einer Vorveröffentlichung kann Anwander auch schon verraten. „Tatsächlich haben wir herausgefunden, dass das Lernen einer Fremdsprache Veränderungen im Gehirn hervorruft. Wir untersuchten eine große Gruppe arabischsprachiger Erwachsener, die sechs Monate lang intensiv Deutsch lernten. Das Sprachnetzwerk in beiden Gehirnhälften hat sich durch das intensive Wortschatzlernen deutlich verstärkt. Gleichzeitig nehmen die starken Verbindungen zwischen den beiden Hirnhälften ab, die ja für die Arabisch sprechenden Menschen eigentlich typisch sind. Zusammenfassend könnte man sagen: Unsere Studien liefern neue Erkenntnisse darüber, wie sich das Gehirn an kognitive Anforderungen anpasst – unser strukturelles Netzwerk der Sprache wird durch die Muttersprache geprägt, verändert sich aber beim Erlernen einer Fremdsprache.“

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MRT-Darstellung des Sprachnetzwerks im Gehirn. Foto: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig

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