Autobombe, Krieg und das Museum von Aleppo

Von Youssef Kanjou und Wolfgang Sannwald
Youssef Kanjou leitete das Archäologische Museum im syrischen Aleppo von 2009 bis 2013. Für ihn ist die Arbeit in einem Museum „einer der schönsten Berufe“. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine erinnert ihn daran, wie sein Traumberuf „zu einem schrecklichen Albtraum“ wurde. Das war beim Krieg des syrischen Regimes gegen die eigene Zivilbevölkerung, der in Aleppo von 2012 bis 2016 dauerte. Der Krieg kam erstmals in Gestalt einer Autobombe in die Nähe seines Museums. Er war gerade etwa acht Kilometer davon entfernt zuhause. Dort hörte er die Autobombe, die auf einem Parkplatz etwa 100 bis 150 Meter vom Museumsgebäude entfernt explodierte. Das Fensterglas zersplitterte in die Ausstellungsräume und Büros hinein, Beleuchtung, Computer, Überwachungskameras, Vitrinen, Ausstellungsarchitektur gingen kaputt. KollegInnen wurden verletzt. Niemand kam zu Hilfe. Youssef und seine KollegInnen räumten anschließend 10 bis 15 Tage lang auf, entfernten Glassplitter und Schutt, verperrten Fenster und Türen notdürftig mit Plastikfolien. Damals rückte auch die Front zwischen dem syrischen Regime und seinen Gegnern unmittelbar nach Aleppo. Scharfschützen machten den Museumsbesuch „zu einem gefährlichen Unterfangen“. In der Nähe des Museums schlugen immer wieder Granaten und Bomben ein. Kanjou erinnert sich: „Die Geräusche verschiedener Waffen lösten bei uns Panik und Angst aus. Aber mit der Zeit wurde es normal und gewöhnlich. In einigen Fällen schlugen Granaten im Museum ein, während sich die Mitarbeiter noch darin befanden.“ Deshalb hätte es gar keinen Sinn gemacht, Fenster und Türen zu reparieren. Überwachungskameras und Alarmanlagen hätten nichts genützt.
Wie viele andere Behörden stellte auch das Museum seinen Betrieb ein und schloss seine Türen. Allerdings entschlossen sich Kanjou und seine Kollegen dazu, fortan mit ihren Familien im Museumsgebäude zu wohnen. Sie wollten das Museum und dessen archäologische Fundstücke sichern. Circa zwei Jahre lang lebten und übernachteten die Museumsmitarbeiter im Angesicht der großen Steinskulpturen in der Ausstellung. Sie richteten manche Büros als Schlafzimmer ein. Es war aber schwierig, Lebensmittel zu beschaffen, ebenso fehlten Verbrauchsstoffe. Sie errichteten große Sandsackwälle um die Skulpturen. Dass sie Tag und Nacht da waren, sei wichtig gewesen. Manchmal sei das schon persönlich gefährlich gewesen. Und sie hatten Glück, dass kein Militär in das Gebäude kam.
Kanjou ist voller Mitgefühl für die KollegInnen in der Ukraine. Den Unterschied zwischen der Ukraine und Syrien sieht er darin, dass sie in Aleppo völlig auf sich alleine gestellt gewesen seien. Niemand leistete Hilfe. Demgegenüber freut er sich, dass die Museen in der Ukraine Unterstützung von der Europäischen Union erhielten. Die Schweiz, Österreich und Deutschland, das europäische Museumsnetz schickten Hilfe.
Kanjou resümiert: „Die Museumsmitarbeiter bleiben unbekannte Soldaten, die im Frieden und im Krieg stillschweigend arbeiten. Der Besucher interessiert sich zwar für die Ausstellungsstücke und für die alten Kulturen, die diese Kunst erzeugt haben. Er vergisst und übersieht aber diejenigen, die hart daran gearbeitet haben, diese Kunst aus der fernen Vergangenheit für die Gegenwart und die Zukunft zu sichern. Selbst inmitten von Kriegen konzentrieren sich die Bemühungen nur auf den Schutz der Museumsobjekte. An das Personal, das unter gefährlichen Bedingungen arbeitet, denkt kaum jemand. Und schließlich: Museen müssen weit weg von militärischen Konflikten sein, und die einschlägigen internationalen Vereinbarungen müssen auch eingehalten werden, aber leider geschieht genau das Gegenteil.“
Heute sind wieder Fenster in das Museum von Aleppo eingebaut. Statt der einst 10 bis 15 Beschäftigten arbeiten heute noch fünf dort. Sie haben wieder einen kleinen Teil der Ausstellung für das Publikum geöffnet. Es kommen aber kaum noch Ausländer, die meisten BesucherInnen kommen heutzutage aus Syrien.
Weitere Informationen über Museen im Ukrainekrieg:
https://www.ne-mo.org/advocacy/our-advocacy-work/museums-support-ukraine.html
tun22053101
www.tuenews.de

Die Spuren des Krieges im Museum von Aleppo: Zerbrochene Fenster. Foto: tünews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

TÜNEWS INTERNATIONAL

Related posts

Contact Us

Magazine Html