Kurdische Migration nach Deutschland – Zahlen und Fakten

Die Kurden sind mit 25 bis 30 Millionen Menschen die weltweit größte Volksgruppe mit eigener Sprache, aber ohne eigenen Staat. Ihr weites Siedlungsgebiet im Nahen Osten wurde nach dem Untergang des Osmanischen Reichs unter den neu entstandenen Staaten Syrien, Irak, Türkei und Iran aufgeteilt. Im 19. Jahrhundert entstand bei einer Verwaltungsreform des Osmanischen Reiches eine Provinz mit dem Namen „Kurdistan“, die jedoch schon bald aufgelöst wurde.
In Deutschland werden KurdInnen in der amtlichen Statistik nicht erfasst, da sie ihrem jeweiligen Herkunftsland zugerechnet werden. Von zwei Wissenschaftlerinnen, die sich mit den KurdInnen in Deutschland befassen, werden sie auf etwa 1,3 Millionen geschätzt. Damit gehört die kurdischstämmige Bevölkerung zu den größten Einwanderergruppen in Deutschland.
Kurden und Kurdinnen sind vor allem aus der Türkei nach Deutschland eingewandert, aber auch aus dem Irak, Syrien und dem Iran. Ein kleinerer Teil kommt aus dem Libanon, Israel und ehemaligen Sowjetrepubliken wie Armenien, Aserbaidschan oder Georgien. Als Geflüchtete sind in den vergangenen Jahren vor allem kurdische Menschen aus Syrien und dem Irak gekommen, seit 2022 vermehrt aus der Türkei.
Ob sie in Deutschland Schutz erhalten, unterscheidet sich je nach Herkunftsland deutlich: Während die Schutzquote über die vergangenen 13 Jahre hinweg für kurdische Geflüchtete aus Syrien bei 89 Prozent lag, lag sie bei kurdischen Geflüchteten aus der Türkei bei nur 10 Prozent.
Über die Religion der KurdInnen in Deutschland gibt es keine verlässlichen Daten. Die meisten sind sunnitische Muslime, es gibt aber auch Aleviten, Jesiden, Schiiten, Christen, Juden oder Zoroastrier. Bekannt ist aber, dass die größte jesidische Community nach dem Genozid durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) in Deutschland lebt. Die Wissenschaftlerin Çinur Ghaderi geht davon aus, dass ein Großteil der KurdInnen in Deutschland säkular lebe. Das liege insbesondere an der starken politischen kurdischen Bewegung, die für viele KurdInnen einen wichtigeren Ankerpunkt als die Religion darstelle.
Die Migration von kurdischen Gruppen nach Deutschland begann schon in den 1920er Jahren. Die ersten Einwanderergruppen gehörten größtenteils der kurdischen intellektuellen Elite an. Sie kamen für ein Studium oder eine diplomatische Mission, teils aus politischen Gründen.
Eine zweite Phase der kurdischen Migration nach Deutschland begann mit dem Anwerbeabkommen für Gastarbeiter zwischen Deutschland und der Türkei. Im Laufe der 1970er-Jahre nahm der Anteil der ArbeitsmigrantInnen aus dem südöstlichen, überwiegend kurdisch bewohnten Teil der Türkei zu. Sie kamen weniger aufgrund der Aussicht auf Arbeit als aufgrund der zunehmenden Unruhen und Repressionen in der Osttürkei. Man geht davon aus, dass 1998 von den 2,1 Millionen Türkei-stämmigen Menschen in Deutschland mindestens 500.000 KurdInnen waren. Sie sahen sich zunächst in erster Linie als TürkInnen. Die Wiederentdeckung der „kurdischen“ Identität und Sprache begann in Deutschland erst durch die Aktivitäten kurdischer Studierender und politischer Geflüchteter in den 80er-Jahren.
Mehrere Ereignisse verstärkten die Einwanderung während dieser Zeit: zwei Militärputsche in der Türkei, mehrere schwere Erdbeben in mehrheitlich von KurdInnen bewohnten Gebieten, Pogrome gegen kurdische AlevitInnen sowie der Zusammenbruch der kurdischen Bewegung im Irak 1975. 1979 flohen nach dem Sturz des Schahs im Iran KurdInnen vor der Unterdrückung durch die neue islamische Regierung mit staatlicher Gewalt, Hinrichtungen und Verfolgung. Der langjährige Erste Golfkrieg (1980–1988) zwischen dem Irak und dem Iran und die „Säuberung“ der kurdisch besiedelten Gebiete im Irak durch Giftgasangriffe waren weitere wesentliche Auslöser für die Migration von KurdInnen ins Ausland.
Auch der Zweite Golfkrieg (1990/91) führte zu erheblichen kurdischen Fluchtbewegungen inner- und außerhalb des Irak, nachdem die Regierung Saddam Husseins gezielt die kurdischen Siedlungsgebiete angegriffen hatte. Infolgedessen flohen etwa eine Million KurdInnen überwiegend in die Türkei und den Iran, aber auch in andere Länder wie Deutschland.
2011 begann mit dem „Arabischen Frühling“, dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges sowie der Entstehung der religiös-fundamentalistischen Bewegungen in Syrien und im Irak eine weitere Fluchtwelle. Eine Gruppe, die in Deutschland Schutz suchte, sind die JesidInnen, die dem Genozid des sogenannten Islamischen Staates (IS) entkommen konnten. Eine weitere kurdische Gruppe aus Syrien kam als Staatenlose nach Deutschland. Hintergrund war die Arabisierungspolitik in Syrien, mit der die Regierung 120.000 KurdInnen ausbürgerte.
Aktuell kommen wegen der politischen Lage in der Türkei und aufgrund der schweren Erdbeben im Februar 2023 vermehrt KurdInnen aus der Türkei. Von Januar 2022 bis August 2023 haben insgesamt 45.057 kurdische Menschen aus der Türkei Asyl beantragt. Weiterhin gibt es auch kurdische Fluchtbewegungen aus Syrien. Ebenfalls migrieren aktuell vermehrt kurdische Menschen aus dem Iran, wo die Gewaltexzesse und Verfolgung durch das Regime nach den Protesten zunehmen, die durch den Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini ausgelöst wurden.
KurdInnen in Deutschland leben vorzugsweise in den Großstädten der westdeutschen Bundesländer, oft in der Nähe von Verwandten oder Communities ihrer Herkunftsregion. Eine Studie von 2021 zeigt, dass sich KurdInnen stark mit der deutschen Gesellschaft identifizieren, dass also die Integration in dieser Bevölkerungsgruppe besonders erfolgreich verläuft. Das zeigt sich auch auf der politischen Ebene: So gibt es kurdischstämmige Abgeordnete auf kommunaler sowie auf Landes- und Bundesebene.
Erfolgreich sind die KurdInnen in Deutschland auch als Selbständige: Bei Existenzgründungen handelt es sich oft um Familienbetriebe, die von Reisebüros, Transportunternehmen, Lebensmittelgeschäften und Restaurants bis hin zu Schönheits- und Friseursalons reichen.
Es gibt bundesweit zahlreiche Vereine und Organisationen, die kulturell, religiös, bildungsorientiert und politisch tätig sind. Auch die kurdische Frauenbewegung wird seit den 1990er-Jahren über die kurdische Community hinaus wahrgenommen und spielt in feministischen Diskursen eine wichtige Rolle. Über das vielfältige kurdische Leben in Deutschland berichten unter anderem seit 1987 der WDR in der kurdischsprachigen Sendung „Cosmo Kurdî“.
Weitere Informationen im Dossier des Mediendienst Integration unter:
Kurden | Gruppen | Zahlen und Fakten | MEDIENDIENST INTEGRATION (mediendienst-integration.de)

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Erbil ist die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Foto: Dr. Zainab Khalid

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