Keine Bedrohung mehr?

Für Zivilpersonen bestehe in Syrien keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit aufgrund des Bürgerkriegs mehr. Zu diesem Schluss kommt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster in seinem Urteil vom 16. Juli 2024.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes für einen syrischen Staatsangehörigen aus dem Nordosten Syriens (Provinz Hasaka) abgelehnt. Denn er hatte sich vor seiner Einreise ins Bundesgebiet an der Einschleusung von Personen aus der Türkei nach Europa beteiligt. In Österreich war er deshalb bereits zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Verwaltungsgericht hatte zuvor das BAMF verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Berufung dagegen gab das OVG statt. Er sei von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen seiner vor der Einreise ins Bundesgebiet begangenen Straftaten ausgeschlossen, die als gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern zu bewerten seien. Das gleiche gelte für den subsidiären Schutz. Außerdem erkennt das Gericht keine ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von Zivilpersonen infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts sowohl in der Provinz Hasaka als auch allgemein in Syrien. Zwar finden zum Beispiel in der Provinz Hasaka noch bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und verbündeten Milizen einerseits und den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) andererseits statt. Auch verübt der Islamische Staat dort gelegentlich Anschläge auf Einrichtungen der kurdischen Selbstverwaltung. Die bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschläge erreichen jedoch kein solches Niveau, dass Zivilpersonen damit rechnen müssten, im Rahmen dieser Auseinandersetzungen und Anschläge getötet oder verletzt zu werden.
Auf Anfrage von tuenews INTERNATIONAL zeigte sich der Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer, Experte für Ausländer- und Flüchtlingsrecht, „nicht überrascht“ über das Urteil. Es gebe seit zwei Jahren eine Tendenz, den Flüchtlingsstatus bei SyrerInnen „runter zu zoomen“. Bis auf wenige Ausnahmen werde der Flüchtlingsstatus nicht mehr anerkannt und auch der subsidiäre Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge werde immer mehr Richtung Abschiebeverbot abgeschwächt. „Ich finde es richtig schlimm, dass dies jetzt erstmals ausgerechnet am Fall eines Schwerstkriminellen obergerichtlich gewagt und konstatiert wird“, so Rothbauer, der nun die Gefahr eines „Dominoeffekts“ sieht. Das zeige auch der politische Druck, der gleich nach Gerichtsentscheidung von verschiedenen Seiten geäußert wurde. Auch Abschiebeverbote werde es nur noch bei individuellem Nachweis von Bedrohung durch Folter oder Tötung etwa aufgrund oppositioneller Aktivtäten geben. Dabei könne niemand behaupten, dass die Zustände in Syrien, insbesondere in Nordsyrien, gut seien und dass dort Zivilpersonen nicht mehr von willkürlicher Gewalt gegen Leib und Leben bedroht seien. Das würden auch die Warnungen des Auswärtigen Amts zeigen und „das entspricht nicht mehr dem Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention, so wie ich sie verstehe.“

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Damaskus. Foto: Arwa Abdulwahed.
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