Mindestens 17 Kriege in Europa seit 1945

Von Wolfgang Sannwald

In Europa gab es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) mindestens 17 weitere Kriege. Der zwischen Russland und der Ukraine ist der aktuellste, er dauert bereits seit 2014. Die drei Kaukasus-Staaten Georgien, Aserbaidschan und Armenien, wo es ebenfalls mehrere Kriege gab, sind nicht mit betrachtet. Nach Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg gehört Europa damit weltweit zu den Kontinenten mit den wenigsten Kriegen. Allerdings beteiligten sich westliche Staaten nach 1945 häufig an Kriegen auf anderen Kontinenten, vor allem Großbritannien, die USA und Frankreich.

Der ungarische Friedensforscher István Kende (1917–1988) definiert Krieg als einen gewaltsamen Massenkonflikt. An diesem beteiligen sich zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte. Und die Kriegführung sei zumindest teilweise zentral gelenkt. Bewaffnete Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuität. Nach diesen Maßstäben zählen zu den Kriegen in Europa seit 1945: Zwei Griechische Bürgerkriege (1944–1945 und 1946–1949), zwei Spanische Bürgerkriege (1945–1950, 1968–1979 im Baskenland), drei Zypernkriege (1955–1959, 1963–1964, 1974), der Ungarn-Aufstand (1956), der Nordirlandkrieg (1969–1997), die Kriege in Rumänien (1989), Moldavien (1992), Slowenien (1991), Kroatien (1991–1995), Bosnien (1992–1995), im Kosovo (1998–1999), in Mazedonien (2001) und eben der Ukrainekrieg (seit 2014).

Die AKUF hat unterschiedliche Geschichts- und Identitätsbilder in der Ukraine erkannt und bis Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt. Diese lebten auf, als die Sowjetunion im Dezember 1991 zerfiel. Im Land identifizierten die ForscherInnen einerseits mehrheitlich proeuropäische, andererseits mehrheitlich russlandorientierte Regionen und Bevölkerungsgruppen. Zum Krieg kam es, als die Ukraine eigentlich ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (EU) abschließen wollte. Die damalige Regierung des Präsidenten Wiktor Janukowytsch (geboren 1950, Präsident seit 2010) verschleppte die Unterzeichnung. Proeuropäer protestierten daraufhin auf dem Maidan-Platz in Kiew. Das ukrainische Parlament setzte Janukowytsch am 21. Februar 2014 ab, der floh ins Exil nach Russland. In engem zeitlichem Zusammenhang damit (18. März) gliederte Russland die ukrainische Halbinsel Krim ein und Anfang April 2014 besetzten prorussische Separatisten die Gebäude der Lokalbehörden in Lugansk und Donezk im Südosten der Ukraine. Seitdem herrscht dort Krieg. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vermittelte zwei Friedenspläne (Minsk I und Minsk II), die jedoch wenig wirkten. Bis Ende 2018 starben in dem Konflikt nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) etwa 12.000 bis 13.000 Menschen. Die Zahl der zivilen Opfer bis Ende 2018 soll etwa 270 betragen haben. Im Februar 2022 eskalierte Russland den Krieg durch eine Großoffensive gegen die Ukraine.

Die meisten Kriege in Europa seit 1945 fanden innerhalb eines Staates statt. Bei ihnen ging es einerseits um die Gesellschaftsform und die Macht im Staat. Andererseits kämpften Kriegsparteien um größere oder völlige Unabhängigkeit von der Zentralregierung. Beide Kriegsgründe hängen nach Ansicht der AKUF mit „einer noch nicht erfolgten oder gescheiterten gesellschaftlichen Integration in einem häufig nur formal vorhandenen Staat“ zusammen. Der Ukrainekrieg unterscheidet sich spätestens seit 2022 deutlich davon, weil in ihm jetzt europäische Staaten unmittelbar gegeneinander kämpfen.

Die Hamburger ForscherInnen haben auch die Ergebnisse von Kriegen nach 1945 weltweit untersucht. Nur ein Fünftel der weltweiten Kriege endete durch einen militärischen Sieg der angreifenden Seite. Bei einem Drittel behauptete sich die militärisch angegriffene Seite. Ein Zehntel der Kriege endete durch einen Abbruch der Kämpfe und „nur geringfügig häufiger stand am Ende eine Vereinbarung, sei es durch einen Waffenstillstand oder durch einen Kompromiss“. Über zwei Drittel der zwischenstaatlichen Kriege endeten im politischen Ergebnis unentschieden. Zu den Opfern von Kriegen gehören neben den gefallenen SoldatInnen und getöteten Zivilisten auch Millionen von Flüchtlingen. Nach Angaben der Vereinten Nationen waren zum Jahresende 2020 weltweit 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht. In den meisten Herkunftsländern von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen herrschten Krieg, Bürgerkrieg oder Gewalt von bewaffneten Gruppen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen. Aus Syrien stammten damals 6,7 Millionen Geflüchtete, aus Afghanistan 2,6 Millionen.

https://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereich-sowi/professuren/jakobeit/forschung/akuf.html

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Symbol für den Frieden: die Taube. Foto: tünews INTERNATIONAL / Martin Klaus.

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