Von Ute Kaiser
„Frau, Leben, Freiheit“ – diese Parole ist mittlerweile nicht nur im Iran zu hören, sondern überall auf der Welt. Auch in Berlin gingen jüngst rund 80.000 Menschen unter dem Slogan der iranischen Frauenbewegung auf die Straße. Sie solidarisierten sich mit den Protesten im Iran gegen das Regime der schiitischen Mullahs. Auslöser für die Aufstände war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini Mitte September im Polizeigewahrsam. Wächter der Sittenpolizei hatten die junge Kurdin festgenommen. Sie soll angeblich ihr Haar nicht vorschriftsgemäß bedeckt haben.
Eltern junger iranischer Frauen fürchten um deren Leben. Sie haben Angst, dass ihren Töchtern dieselbe Gefahr wie Masha Amini drohen könnte, berichtet die 28-jährige Zhina (Name geändert). Die Exil-Iranerin, die seit 2016 im Keis Tübingen lebt, bangt um ihre Verwandten in der seit 1979 islamischen Republik. Es ist nicht leicht, Kontakt dorthin zu halten: Das Regime sperrt das Internet weitgehend. Dennoch gibt es immer wieder auch Telefongespräche.
Besonders zwei Verwandte, so Zhina, beteiligen sich an den landesweiten Protesten gegen Unterdrückung und miserable Lebensbedingungen. Eine ihrer Tanten postet in sozialen Medien Beiträge gegen die Regierung. Eine andere Tante geht ohne Hidschab zu Demonstrationen. „Wir sind alle sehr traurig und sorgen uns um unsere Verwandten“, sagt Zhina. Protestieren im Iran kann lebensgefährlich sein. Mehr als 240 Menschen – darunter 32 Minderjährige – sind nach Angaben der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Human Rights Activists News Agency (HRANA) getötet, mehr als 12.000 Menschen festgenommen worden (Stand 19. Oktober). Für viele Regime-GegnerInnen endet ihr Protest im berüchtigten Evin-Gefängnis, wo es jüngst brannte. Amnesty international nannte es den „Warteraum des Todes“. Trotz des riesigen Risikos rufen Protestierende im Iran „Tod dem Diktator“. Gemeint ist damit das Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Khamenei.
1999, 2009, 2019: Immer wieder gab es im Iran Aufstände, die blutig niedergeschlagen wurden. Und jetzt 2022: Diesmal sei die Protestbewegung „sehr breit“, so Zhina. Unmut empfinden fast alle Schichten der Bevölkerung: Frauen, die sich gegen strenge Regeln und Unterdrückung wehren, Studierende, die Freiheit einfordern, Händler in den Basaren und Arbeiter in Raffinerien, die sich solidarisieren, sowie verzweifelte Menschen, die wegen der enormen Inflation zu wenig Geld zum Leben haben. „Kleine Erleichterungen“, so Zhinas Eindruck, „reichen den Leuten nicht mehr.“ Die Menschen wollen grundlegende Veränderungen. „Die haben uns unser Geld geklaut“, sagen IranierInnen über das Regime der Mullahs und deren Unterdrückungsapparat wie zum Beispiel die Revolutionsgarden.
Eigentlich ist der Iran „ein reiches Land“, sagt Zhina. Er hat gefragte Güter wie Öl und Gas. Doch in dem weitgehend verstaatlichten System kommt zu wenig bei der Bevölkerung an. Besonders junge Leute vermissen Perspektiven. Die Jugend-Arbeitslosigkeit lag 2021 bei 27,2 Prozent. „Wir brauchen 20 Jahre, bis wir wieder aufgebaut haben, was das Regime falsch gemacht hat“: Diesen Satz hört Zhina so oder ähnlich immer wieder.
Auf der ganzen Welt schneiden sich Prominente aus Solidarität mit den Protestierenden im Iran die Haare ab. Die Europäische Union hat gerade führende systemtreue Mitglieder der Sittenpolizei sowie Strafverfolger wegen ihrer Rolle bei der brutalen Unterdrückung der Proteste mit Sanktionen belegt. Dazu gehört ein Einreiseverbot. Außerdem kommen sie nicht mehr an ihr Vermögen in Europa. Nicht nur in Berlin protestieren Demonstranten gegen die menschenverachtende Macht der Mullahs und das gewaltsame Vorgehen des Regimes gegen Demonstrierende. Hilft das den Menschen im Iran? Zhina sagt vorsichtig: „Wenn die ganze Welt den Protest unterstützt, dann kann er Erfolg haben.“
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Nicht nur in Berlin protestieren Demonstranten gegen die menschenverachtende Macht der Mullahs. Foto: tünews INTERNATIONAL / Mostafa Elyasian.