Was Elif und Omar Ali bei der Zeitarbeit erlebten

Von Brigitte Gisel
Chancen und Risiken von Leiharbeit. Welche Regeln gelten und wo man sich informieren kann.
Auf seine frühere Zeitarbeitsfirma ist Elif (Name geändert) nicht gut zu sprechen. „Als ich nach meiner Coronaerkrankung wieder in den Betrieb kam, hat mich der Schichtleiter heimgeschickt“, erzählt der junge Afghane. Man habe ihm gesagt, der Betrieb wolle ganz sicher gehen, dass Elif trotz negativer Tests niemand anstecken werde. Der junge Afghane tat wie ihm befohlen, doch bei der Lohnabrechnung am Ende des Monats fehlten plötzlich drei Tage. Als er nachfragte, hieß es, er habe ja schließlich weder gearbeitet noch sei er krankgeschrieben gewesen. Am Ende stand Aussage gegen Aussage und Elif hatte drei Tage weniger Lohn auf dem Konto. Ärger gab es auch wegen der Übernahme der Fahrtkosten. Das Ende vom Lied: Die Zeitarbeitsfirma hat ihm gekündigt. Elif hat inzwischen einen neuen Job in einem regulären Betrieb in Aussicht. Sein Fazit: „Zeitarbeit ist vielleicht gut, wenn man keine Ausbildung hat und nicht gut Deutsch kann.“ Er selbst, der fließend Deutsch spricht und eine Ausbildung in Deutschland absolviert hat, will sich künftig aber lieber von Leiharbeitsfirmen fernhalten.
Zeitarbeit ist anstrengend. Zeitarbeitsfirmen, aber auch das Bundesarbeitsministerium betonen jedoch immer wieder die Aussichten, temporäre Beschäftigung als Sprungbrett für eine reguläre Stelle zu nutzen. Zeitarbeit biete vor allem für Menschen mit geringen Qualifikationen, die gerade arbeitslose sind, Chancen, heißt es etwa auf der Website des Bundesarbeitsministeriums. „ Als Migrantin oder Migrant können Sie von Zeitarbeit besonders profitieren“, heißt es auch bei der Bundesagentur für Arbeit. Zum einen, um Sprache und Unternehmenskultur besser kennenzulernen, zum anderen, weil Betriebe ausländische Abschlüsse oft schwer einschätzen könnten. Jeder zweite Job, den eine Zeitarbeitsfirma vermittelt, ist ein Hilfsjob, heißt es beim Ministerium. Auch Omar Ali (Name geändert) hat diese Erfahrung gemacht. Im Irak hatte er nach einer Ausbildung im Medienbereich gearbeitet. Nach seiner Flucht folgten in Deutschland Stationen in Lager, Versand und Kommissionierung bei Zeitarbeitsfirmen. „Für uns ist es schwierig“, sagt er.
Omar Ali hat dabei aber auch erlebt, dass auch der Sprung von der Zeitarbeit in eine reguläre Arbeitsstelle viel schwieriger sein kann als gedacht. Sieben Monate wurde er von seiner Leiharbeitsfirma bei einem Unternehmen eingesetzt. Alles lief gut. „Die Firma hat gesagt, wir machen einen Vertrag mit Dir“, erzählt der Iraker. Doch so weit kam es nicht. Die Zeitarbeitsfirma habe ihm gesagt, er müsse mindestens ein Jahr bleiben. Omar Ali hat daraufhin die Reißleine gezogen und gekündigt. Heute arbeitet er in einem normalen Job, den ihm ein Freund vermittelt hat.
Seine Geschichte belegt, was der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) festgestellt hat. „Die Erzählung, Leiharbeit biete einen niederschwelligen Einstieg in den Arbeitsmarkt, auf den dann eine reguläre Beschäftigung folgt, wird von der Realität widerlegt“, heißt es in der Pressestelle. Der DGB verweist für Infos und Beratung auch auf die Beratungsstelle Mira – Mit Recht bei der Arbeit.„Die Ergebnisse des DGB-Index (eine Umfrage, die Redaktion) zeigen, dass Leiharbeit in den überwiegenden Fällen keine gute Arbeit ist und auch nicht als solche empfunden wird“, schreibt dazu die Pressestelle des DGB-Landesverbands in Stuttgart.
Was genau ist Zeitarbeit: Zeitarbeit bedeutet, dass man als Arbeitnehmer bei einem Unternehmen angestellt ist, der Einsatzort aber ein anderer ist. Leih- oder Zeitarbeitsfirmen entleihen ihre Arbeitskräfte für eine bestimmte Zeit an ein anderes Unternehmen, die sogenannten Einsatzbetriebe. Der Einsatzbetrieb bezahlt der Zeitarbeitsfirma dafür eine Gebühr. Mitarbeiter A von der Zeitarbeitsfirma ist somit bei Unternehmen B tätig. Vertragspartner ist die Zeitarbeitsfirma, die konkreten Anweisungen für die Arbeit kommen aber vom Unternehmen B. Zeitarbeit bedeutet nicht, dass man einen befristeten Arbeitsvertrag hat. Das kann vorkommen, ist aber nicht die Regel. Länger als 18 Monate darf man aber im Grundsatz nicht im selben Unternehmen arbeiten. Und für die Unternehmen der Fleischbranche gelten andere, strengere, Regelungen. Wie der DGB mitteilt, muss die Zeitarbeitsfirma übrigens auch dann den Lohn bezahlen, wenn es im Betrieb gerade gar keine Arbeit gibt – vorausgesetzt, der Beschäftigte macht unmissverständlich klar, dass er arbeiten will. „Die Leiharbeitsfirma darf Ihnen für diese Zeit weder Minusstunden ohne Ihr Einverständnis auf dem Arbeitszeitkonto berechnen noch Sie zwingen, Urlaub zu nehmen, oder Ihnen einfach kündigen“, heißt es dazu beim DGB.
Gleiche Rechte und Pflichten: Was Regelungen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Kündigungsschutz betrifft, sind Zeitarbeiter nicht schlechter gestellt als andere Arbeitnehmer. Das bestätigt das Bundesarbeitsministerium. Wie der DGB mitteilt, haben Leiharbeitende aber die ersten sechs Monate keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz.
Bezahlung: Die Bezahlung liegt bei der Leiharbeit etwas über dem Mindestlohn. Die Lohnuntergrenze stieg am 1. Oktober 2022 von 10,88 Euro auf 12,43 Euro, zum 1. April 2023 werden es 13 Euro und zum 1. Januar 2024 13,50 Euro. Die Stundenlöhne in der Zeitarbeitsbranche liegen somit auf jedem Fall über dem Mindestlohn von 12 Euro. Für die besser bezahlten Entgeltgruppen laufen gerade noch weitere Tarifverhandlungen. Seit 2017 gilt die Regel, dass Zeitarbeiter nach neun Monaten genauso bezahlt werden müssen wie die Mitarbeiter der Stammbelegschaft. Aufgrund von Tarifverträgen gibt es davon aber viele Ausnahmen.
Was sind die Motive, sich bei einer Zeitarbeitsfirma zu bewerben? Elif wollte Zeit überbrücken, nachdem sein Zeitvertrag ausgelaufen war und er nicht sofort eine neue Stelle fand. „Ich wollte nicht arbeitslos sein“, sagt er. Er will als ehemaliger Asylbewerber unbedingt die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben und möchte alles vermeiden, was dem im Wege stehen könnte.
Wie findet man nun eine gute Stelle bei einer Zeitarbeitsfirma? Wer eine Stelle bei einem Leiharbeitsunternehmen sucht, kann sich auf den gleichen Wegen informieren wie bei allen anderen Stellensuchen: Freunde, Bekannte und Verwandte nach ihren Erfahrungen fragen und im Internet nach Bewertungen suchen – und dabei einkalkulieren, dass diese gefärbt sein können. Von Vorteil ist es auch, wenn eine Zeitarbeitsfirma Mitglied in einem der großen Branchenverbände wie Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) oder Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) ist.
Weitere Infos:
https://mira-beratung.de
https://www.dgb.de/-/bgE
https://www.dgb.de/-TGZ
https://www.arbeitsagentur.de/arbeitslos-arbeit-finden/zeitarbeit
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www.tuenews.de

Arbeitszeitblatt. Foto: tünews INTERNATIONAL / Linda Kreuzer.

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