Kerzen – Lichtquelle und soziale Bedeutung

Von Youssef Kanjou und Abdul Baset Kannawi
Kerzen gelten als eine der ältesten Beleuchtungsmethoden in der Geschichte der Zivilisationen, und ihr Einsatz beschränkte sich nicht nur auf Beleuchtung oder das Gewinnen von Licht allein. Im Laufe der Zeit entstanden zwischen Kerzen und Menschen religiöse und soziale Beziehungen, die sich in vielen Praktiken, Riten und Gewohnheiten widerspiegeln.
Mit der Beherrschung des Feuers vor etwa 500.000 Jahren konnten die damals lebenden Menschen die Dunkelheit der Nacht und von Höhlen erhellen. Dieses Licht ließ sich mit Holzspänen oder Fackeln auch transportieren. Seit etwa 40.000 Jahren verfügten Menschen auch über primitive Lampen. Die Archäologen gruben ausgehöhlte Steinobjekte mit Brandspuren aus. In diesen Steingefäßen haben die Menschen tierische Körperfette um einen pflanzlichen Docht verbrannt, was für ein längeres Licht sorgte als brennendes Holz.
Den vielleicht ersten bildlichen Nachweis von Laternen gibt es von den alten Ägyptern:  Sie tauchten Pflanzenmaterial in tierisches Fett und nutzten es zur Beleuchtung. Dies zeigt ein Wandgemälde in einem pharaonischen Grab, auf dem eine Bootsprozession mit einer kleinen Kerze oder Laterne zu sehen ist. Sie ist Teil eines pharaonischen Bestattungsritus aus der Zeit der Herrschaft von Pharao Amenhotep (2575–2130 v. Chr).
Die frühen Griechen verwendeten Kerzen, um die Geburt der Göttin Artemis zu ehren, und die Römer begannen etwa um 500 v. Chr. mit der Herstellung von Kerzen. Zwar verwendeten sie vorwiegend Öllampen aus Ton und Metall als primäre Lichtquelle in Italien und anderen Teilen des Römischen Reiches, Kerzen wurden aber kontinuierlich in Ritualen als Opfergaben an Gottheiten wie Saturn verwendet.
Mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches endete auch der Handel in den Gebieten unter römischer Herrschaft. Dadurch gab es einen Mangel an Olivenöl, das zuvor der vorherrschende Brennstoff für Lampen in ganz Europa war. Daher wurden nun Kerzen weit verbreitet verwendet. Aufgrund der Verfügbarkeit von Olivenöl war die Verwendung von Kerzen jedoch relativ unbekannt in Nordafrika und im Nahen Osten.

Kerzen gibt es auf der ganzen Welt schon seit Jahrhunderten. Foto: tünews INTERNATIONAL / Linda Kreuzer.

Die Kerzen im zentralen Europa wurden zunächst aus tierischem Fett hergestellt, das von Rindern und Schafen gewonnen wurde. Aufgrund des unangenehmen Geruchs, der bei der Verbrennung entstand, wurden in vielen europäischen Städten offizielle Verbote für diese Herstellung erlassen. Bienenwachs war für seine hohe Qualität bei der Kerzenherstellung und seine angenehmen Gerüche bekannt, aber seine Verwendung wurde durch die hohen Kosten eingeschränkt. Wachskerzen wurden daher nur von Reichen, in Kirchen und bei königlichen Anlässen verwendet.
In der muslimischen Welt begannen die Umayyaden im 7. Jahrhundert, die Versammlungsräume der Kalifen und wohlhabenden Gesellschaftsschicht sowie große Moscheen durch Kerzen zu beleuchten, obwohl die Kosten doppelt so hoch waren wie für die Beleuchtung mit Ton- oder Metalllampen. Kerzen wurden auch bei bestimmten Anlässen verwendet, zum Beispiel in den Prozessionen der Kalifen wie zur Zeit der Umayyaden-Kalifen Yazid ibn Abd al-Malik und Walid ibn Abd al-Malik in Damaskus. Auch bei den Hochzeiten der Kalifen wurden Kerzen verwendet, um gute Wünsche für die Ehe auszudrücken. Hier tauchten viele Duft-Kerzen auf, in die Ambra und Kampfer gemischt waren, und die später als Ambra-Kerzen bekannt wurden. Die Begeisterung für den Gebrauch von Kerzen erreichte einen Höhepunkt, als der in Nordafrika herrschende Fatimidenkalif befahl, die Straßen, Gassen und Wege nachts mit Kerzen zu beleuchten. In Kairo gab es einen eigenen Stadtteil namens „Al-Shama’een“, der ein Ort für den Verkauf von Kerzen und Handel mit ihnen war. Im Islam selbst gibt es keine spezifischen religiösen Rituale oder Bedeutungen, die Kerzen betreffen. Daher verwenden manche Muslime Kerzen vielleicht eher für ästhetische oder praktische Zwecke, beispielsweise für den Geruch, zur Dekoration oder für romantische Anlässe.
Das Jahr 1879 wurde zur Katastrophe für die Kerzenindustrie, da in diesem Jahr die Glühlampe erfunden wurde. Damit endete die alleinige Beleuchtung von Innenräumen durch Kerzen, sie wurden zur Dekoration in vielerlei Formen, Größen, Farben und auch Düften.
In den byzantinischen Riten der orthodoxen Kirche werden Öllampen weiterhin verwendet, aber Kerzen spielen immer eine bedeutende Rolle bei Feierlichkeiten und Veranstaltungen, sei es offiziell oder privat. Von den wöchentlichen Kirchendiensten bis zu größeren Ereignissen wie Ostern, Weihnachten, Beerdigungen, Verlobungen und Hochzeiten symbolisieren sie nach wie vor Gebet und Licht Gottes.
In den Kriegen in Syrien oder der Ukraine kommen Menschen wegen der zerstörten Elektrizitätsnetze erneut auf den Gebrauch von Kerzen als preiswerte Lichtquelle zurück. Vielleicht sollten Menschen überhaupt wieder vermehrt Kerzen benutzen, nicht nur wegen des Strommangels in Kriegen, sondern auch um Energie zu sparen und damit die Umwelt zu schützen?

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Kerzenhalter aus der Mamluken-Zeit (9. Jh.), entdeckt in der Zitadelle von Aleppo. Foto: tünews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

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