Die Kufiya: Ein kulturelles Erbe zwischen Tradition und Widerstand

Von Oula Mahfouz
Die Kufiya, die in Deutschland als „Palästinensertuch“ bekannt ist, gelangte durch den Krieg in Gaza insbesondere in Berlin zu besonderer Aktualität. Im Oktober 2023 hat die Bildungsverwaltung in Berlin Schulleitungen die Möglichkeit gegeben, das Tragen der Kufiya an der Schule zu verbieten, wenn dadurch der „Schulfrieden“ gefährdet werden könnte. Auch auf manchen Demonstrationen gegen den Krieg wurde das Tragen der Kufiya verboten. Wie hat die Kufiya diese politische Bedeutung bekommen und woher kommt sie eigentlich?
Formen und Muster von Kleidungsstücken verändern sich im Laufe der Jahrhunderte und tragen dabei immer auch historische, soziale und religiöse Bedeutungen. Alle Gesellschaften entwickeln ihre eigenen charakteristischen Kleidungsstücke. Das gilt auch für die Kufiya. Sie ist eine traditionelle Kopfbedeckung in der arabischen Welt, bekannt auch unter Namen wie Shemagh und Ghutra. Normalerweise wird sie aus Baumwolle oder Leinen hergestellt und weist charakteristische Farben auf, wobei die beliebtesten Kombinationen Weiß mit Schwarz oder Weiß mit Rot sind. Die quadratische Form der Kufiya wird in eine Dreiecksform gefaltet und auf dem Kopf oder der Schulter getragen. Der Name „Kufiya“ leitet sich von der Stadt Kufa im Irak ab. Das Wort „Shemagh“ stammt aus dem Sumerischen und bedeutet Kopfbedeckung, im Akkadischen steht es für Erhabenheit und Größe.
Die Ursprünge der Kufiya reichen bis ins alte Mesopotamien um ca. 3100 v. Chr. zurück. Die Bewohner nutzten sie, um ihre Köpfe vor der Sonne zu schützen. Der Legende nach trugen sumerische Fischer ihre Fischernetze auf dem Kopf, was zur Entwicklung der Kufiya führte. ie überkreuzten Linien und das Netzmuster erinnern an die Fischernetze und betonen die Bedeutung von Fischfang und Landwirtschaft. Wellige Linien stehen für Flüsse und Gewässer, Symbole für Leben und Überleben in Wüstenregionen. Es wird auch gesagt, dass sie Olivenblätter und Weizenähren darstellen.
Im Laufe der Jahrhunderte trugen Priester und Könige die Kufiya als Symbol für Würde und Erhabenheit. Die älteste Darstellung einer Kufiya findet sich auf einer Statue des sumerischen Königs Gudea aus dem späten dritten Jahrtausend vor Christus, die im Louvre-Museum in Paris ausgestellt ist. Es gibt auch eine Tontafel eines Dialogs zwischen Ishtar, der großen Göttin des sumerisch-babylonischen Götterwelt, und Tammuz, dem babylonischen und assyrischen Hirtengott, in dem sie ihn auffordert, die Shemagh zu tragen, um sich vor der Sonne zu schützen.

 

Kufiya, Shemagh oder Ghutra sind die traditionellen Namen für das so genannte Palästinensertuch. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Oula Mahfouz.

Die Kufiya entwickelte sich von einem Symbol der herrschenden Elite zu einem wesentlichen Teil der kulturellen Identität der Allgemeinheit. Sie verkörpert heute Würde für viele Menschen. Während der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft im arabischen Raum wurde die Kufiya zu einem Symbol der sozialen Abgrenzung und Widerstand gegen die Besatzung, lange bevor der arabisch-israelische Konflikt begann. Während wohlhabende Araber aus der oberen und mittleren Schicht osmanische Modezeichen wie den „Tarbusch“ (eine Kopfbedeckung aus rotem Filz) übernahmen, bevorzugten Menschen aus bescheidenen Verhältnissen die Kufiya. Viele Menschen in Syrien, Libanon, Jordanien, Palästina und Irak, wählten unabhängig von ihrer Religion die Kufiya, um sich als „Kinder des Landes“ innerhalb des osmanischen und britischen Herrschaftsgebiets in diesen Ländern zu identifizieren.
Im 20. Jahrhundert, während des britischen Mandats in Palästina, wurde die Kufiya zu einem starken Symbol des Widerstands gegen die Kolonialherrschaft. Palästinensische Widerstandskämpfer trugen sie bei ihren Aktionen gegen die Briten. Später trugen alle einheimischen Menschen in Palästina diese Kopfbedeckung, um es den Mandatsbehörden zu erschweren, die Kämpfer zu identifizieren und zu verhaften. Nach der Gründung Israels im Jahr 1948 und der anschließenden Vertreibung Tausender Palästinenser entwickelte sich die Kufiya zu einem Symbol des Widerstands gegen die Besatzung und die Verschlechterung der Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung. Sie wurde schnell zum Symbol für den Einsatz für die Selbstbestimmung der Palästinenser.
Als die israelische Besatzungsbehörde die palästinensische Flagge verbot (1967–1993), wurde die Kufiya zu einem alternativen nationalen Symbol der Palästinenser. Politiker wie Yasser Arafat trugen die Kufiya ständig, was ihre Symbolwirkung verstärkte. Auch weltbekannte Politiker wie Nelson Mandela und Fidel Castro trugen sie als Zeichen der Solidarität mit den Palästinensern. Die Kufiya ist inzwischen zu einem globalen Symbol geworden, das geografische und politische Grenzen überschreitet. Sie steht für die Solidarität mit den Rechten der Palästinenser und dem Kampf gegen die Besatzung.
Die Kufiya ist nicht nur eine traditionelle Bekleidung, sondern zugleich ein historisches und kulturelles Symbol, das über die Jahrhunderte unterschiedliche soziale und nationale Identitäten verkörperte. Sie entwickelte sich von ihren Ursprüngen in Mesopotamien zu einem Symbol mit kultureller und historischer Bedeutung in Palästina, das über Palästina hinaus in der arabischen Welt und weltweit verstanden wird.

tun24012408

www.tuenews.de

Kufiya, Shemagh oder Ghutra sind die traditionellen Namen für das so genannte Palästinensertuch. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Oula Mahfouz.
002440
002441

TÜNEWS INTERNATIONAL

Related posts

Contact Us

Magazine Html