Durch Migration kam helle Haut nach Europa

Von Michael Seifert
Hatten die Menschen in Europa schon immer eine helle Haut? Eine Antwort darauf kann eine junge wissenschaftliche Disziplin, die Paläogenetik, geben. tuenews INTERNATIONAL sprach darüber mit dem Experten Cosimo Posth, Juniorprofessor für Archäo- und Paläogenetik an der Universität Tübingen. „Unser Ziel ist es, die genetische Vielfalt von Menschen in der Vergangenheit zu rekonstruieren und historische Veränderungen durch Migrationen, Durchmischungen und das Aussterben menschlicher Gruppen zu erklären. Dafür entnehmen wir archäologischen Knochenfunden oder Zähnen eine winzige Menge organischer Substanz und können so die DNA, die menschliche Erbsubstanz, isolieren. In den letzten 13 Jahren haben wir so etwa 10.000 menschliche Genome aus der Vergangenheit rekonstruiert“, erklärt Posth.
Die Menschen in Europa gehören wie alle derzeit lebenden Menschen auf der ganzen Welt zur Menschenform „homo sapiens“. Die ersten Gruppen dieser Menschen kamen vor etwa 45.000 Jahren aus Afrika über den Nahen Osten entlang der Donau nach Mitteleuropa und auch in unsere Region, wo bis dahin seit etwa 200.000 Jahren Neandertaler-Menschen lebten, eine ältere Menschenform. Diese ersten modernen Menschen in Europa waren nomadisch lebende Jäger und Sammler, die sich hervorragend an die damaligen eiszeitlichen Klimabedingungen anpassen konnten.

Männlicher Schädel und Steinwerkzeuge von Jägern und Sammlern, die noch vor etwa 7.000 Jahren im heutigen Brandenburg lebten. Sie vermischten sich nicht mit den ersten europäischen Bauern und wurden schließlich verdrängt. Foto: Volker Minkus.

„Wie manche heutigen Menschen in weiten Teilen Afrikas waren sie wahrscheinlich dunkelhäutig. Von diesen ersten Gruppen ist genetisch jedoch nicht viel in uns erhalten. Erst mehrere Einwanderungswellen und Eiszeit-Kulturen später kamen unsere Vorfahren wahrscheinlich aus dem Balkan nach Italien und haben sich von dort über ganz Europa ausgebreitet. Damals vor 14.000 Jahren entstand eine Warmzeit, die Gletscher schmolzen und anstelle der Steppen bildeten sich Wälder. Die Tiere zog es in die Wälder und die Jäger folgten ihnen“, fasst Cosimo Posth den Stand der Wissenschaft zusammen.
„Auch diese Menschen waren vermutlich dunkelhäutig. Von ihnen haben wir etwa 10 Prozent unseres Genmaterials. Auch die 2 Prozent Neandertalergene haben wir von ihnen, denn sie sind schon viel früher im Nahen Osten den Neandertalern begegnet und haben sich mit ihnen gemischt. Und sie haben die blauen Augen nach Europa gebracht“, ergänzt Posth. Wie es zu den blauen Augen gekommen ist, darüber muss er spekulieren: „Wahrscheinlich war es eine zufällige Mutation und dann haben die Menschen vielleicht gedacht: Das sieht schön aus.“ Deshalb hätten sich die blauen Augen bei der Partnerwahl und damit bei der Fortpflanzung durchgesetzt.
Eine weitere große Einwanderungswelle führte vor 8.000 Jahren die ersten Ackerbauern aus Anatolien nach Europa. Diese brachten kulturelle Errungenschaften wie feste Wohnsitze, Ackerbau und Viehzucht oder auch Keramik mit. Und sie hatten auch eine hellere Haut und sind nach den Erkenntnissen der Paläogenetiker für etwa 40 Prozent unseres Genmaterials verantwortlich. Sie lebten neben den einheimischen Jägern und Sammlern und später im Norden auch mit ihnen, wodurch es zum genetischen Austausch kam.

Der älteste Beweis für die Wanderbewegung während der Klimaerwärmung: Schädel eines Mannes und einer Frau, die vor rund 14.000 Jahren Oberkassel bei Bonn bestattet wurden. Genetisch stammen sie aus dem Süden. Foto: Jürgen Vogel, LVR – LandesMuseum Bonn.

Während die Hautfarbe bei diesen Menschen noch recht variabel war, wurden die BewohnerInnen Europas nach der nächsten Einwanderungswelle vor etwa 5.000 Jahren endgültig hellhäutig: Damals kamen Steppenreiter aus den östlichen Steppen nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres in großer Zahl nach Europa. Wie Cosimo Posth erläutert, bestimmen deren Gene uns heute am meisten, machen sie 50 Prozent unseres Erbmaterials aus. Auch sie führten wieder eine Reihe von kulturellen Neuerungen ein: Rad und Wagen, Rinderherden und damit Weidewirtschaft und mit dem ersten Gebrauch von Metallen fing die Bronzezeit in Europa an.
Posth versucht ein Resümee der historischen Entwicklung: „Lange vor den Geflüchteten von heute kamen Menschen als Migranten aus dem Osten und bevölkerten Europa, sie brachten viele kulturelle Neuerungen und aus den Bevölkerungsmischungen entstand unser Genmaterial von heute.“
Mit den rasanten methodischen Entwicklungen der Paläogenetik erwartet Cosimo Posth noch viele weitere interessante Erkenntnisse: „Ein kleiner Löffel Sediment reicht uns heute, um hundert verschiedene Organismen festzustellen, die eine Siedlungsschicht bevölkert haben, von Bakterien über Pflanzen, Tiere bis hin zu den Menschen. In einem neuen Projekt werden wir das ausprobieren.“ Und er hofft auf neue Fundstellen in Regionen, in denen bisher noch kaum menschliche Knochen ausgegraben wurden.

tun23082205

www.tuenews.de

Rekonstruktion eines Jägers und Sammlers einer ausgestorbenen Eiszeit-Kultur in Italien von vor 32.000-24.000 Jahren. Er hat nicht die blauen Augen unserer genetischen Vorfahren von vor 14.000 Jahren. Foto/Künstler: Tom Bjoerklund.

002229

002230

002231

TÜNEWS INTERNATIONAL

Related posts

Contact Us

Magazine Html